Donnerstag, November 09, 2006

Berliner Anmerkungen in der Presse

Die Neue Osnabrücker Zeitung schrieb über dieses Angebot. Zum Artikel
Posted by bo at 15:03
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Mittwoch, August 16, 2006

Israels verlorener Krieg

Lebanon orders army south

Israel galt bislang als die unbestrittene Vormacht im Nahen Osten, eine regionale Supermacht, deren schlagkräftige Armee technologisch durchaus auf einer Stufe mit den amerikanischen Streitkräften steht. Bis heute blieb das Land in vielen Kriegen mit den arabischen Nachbarn unbesiegt, nicht zuletzt auch, weil man die Stellung als alleinige Atommacht in der Region erfolgreich verteidigen konnte. Der jetzige Rückzug der Streitkräfte aus dem Libanon und damit die Umsetzung der UN-Resolution 1701 kann man mit Bedauern als erste militärische Niederlage Israels verstehen. Daß es der israelischen Regierung nicht gelungen ist, der Hizbullah eine entscheidende Niederlage beizufügen, hat mehrere Gründe. Zum einen ist der israelische Ministerpräsident Olmert allzu leichtfertig auf eine Provokation der Miliz eingegangen, die sich mit der Entführung zweier israelischer Soldaten in Szene setzen wollte. Ohne erkennbare Zielsetzung rechtfertigte man den Einmarsch in den Libanon zunächst damit, daß man den einsetzenden massiven Beschuß mit Raketen unterbinden wolle. Als das Trommelfeuer der Katjuscha-Raketen im Laufe der Auseinandersetzung eher zu- als abnahm, setze sich die israelische Regierung ein neues Ziel, nämlich die Hizbullah vollständig zu zerschlagen und zumindest in den Norden zurückzudrängen. Damit ist der militärisch unerfahrene Olmert in eine Falle getappt, wie auch vor ihm schon die Vereinigten Staaten im Irak. Einen Guerilla-Krieg gewinnt man eben nicht mit massiven Bombardements aus der Luft, die im Zweifelsfall für schlechte Publicity sorgen. Ohne eine realistische Zielsetzung wird man in einem solchen Abnutzungskrieg zum Gejagten. Die Hizbullah hat Taktiken eingesetzt, die an diejenigen der Aufständischem im Irak erinnern, und Israel hat mit seiner konventionellen Vorgehensweise viel Lehrgeld bezahlen müssen. So viel Verständnis man gerade auch aus europäischer Sicht für eine auch auf Gewalt setzende Eindämmungsstrategie der Israelis aufbringen möchte, eine dauerhafte Schwächung der Hizbullah als Staat im Staate wird man nur im Bündnis mit innerlibanesischen Kräften erreichen können. Gerade darauf sollten auch die Friedensbringer aus Europa im Bündnis mit den Vereinten Nationen setzen. Eine kalte Front allein wird keinen nachhaltigen Frieden bringen. Nur ein Libanon, in dem das Gewaltmonopol vom Staate ausgeht und der in demokratischer Weise regiert wird, kann zu einem echten Partner Israels heranwachsen. Dies ist schon einmal mit Ägypten, wenngleich unter anderen Voraussetzungen, gelungen, warum sollte das nicht auch mit dem nördlichen Nachbarn möglich sein.

Posted by bo at 22:04
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Montag, Juli 17, 2006

Köhlers neue Unabhängigkeit

Standpauke für Merkel & Co.

Als Außenseiter war er auf den Stuhl des Bundespräsidenten gekommen, den sonst für gewöhnlich nur altgediente Haudegen der Bundespolitik einnehmen. Der ehemalige Präsident des Internationalen Währungsfonds und Kohl-Vertraute Horst Köhler war der Überraschungskandidat Angela Merkels für das höchste Staatsamt im Jahre 2004, und vor allem die FDP konnte sich damals für den Wirtschaftsfachmann begeistern. Nach anfänglicher Unsicherheit kann man beim Bundespräsidenten seit einiger Zeit ein zunehmendes Selbstvertrauen und eine gewachsene Unabhängigkeit beobachten, wie dies immer schon der Fall war, wenn die Erkenntnis reifte, daß aus der faktischen Machtlosigkeit des Amtes eine im politischen System Deutschlands einmalige moralische Autorität erwächst. Statt einer schwarz-gelben Koalition steht Köhler nun seit letztem Jahr einer großen Koalition vor, mit der sich anfangs auch für ihn Hoffnungen verbanden. Zur Halbzeit seiner Amtsperiode nun zeigt sich Köhler ungeduldig und liest der Regierung Merkel kräftig die Leviten. Die große Koalition packe die entscheidenden Probleme nicht entschlossen genug an und würde sich in parteipolitischen Streitereien ergehen statt Sachpolitik zu betreiben. Im Gegensatz zur Kanzlerin, die sich derzeit über die vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenzahlen freut, sieht der Bundespräsident das Problem als ungelöst an, womit er zweifellos recht hat. Die Reaktionen der Koalitionäre reichen von Lob und Zustimmung auf Seiten der FDP oder auch aus Bayern bis hin zu der lakonischen Bemerkung Münteferings, daß es Köhler freistehe, "seine eigene Meinung zu äußern". Auf diese Weise seine eigene Machtfülle zurschaustellend, übersieht der Arbeitsminister freilich, daß Köhler, der - wie bei der Fußball-WM deutlich sichtbar - ein gutes Gespür für Stimmungen und Bewegungen in Deutschland hat, sich damit an die Spitze der frustrierten Wähler einer ungewollten Koalition gesetzt hat. Sollte das Wahlvolk die Koalition aus CDU/CSU und SPD allerdings auch weiterhin in Meinungsumfragen mit Liebesentzug strafen, so würde dies paradoxerweise gerade nicht zum vorzeitigen Ende des Bündnisses führen. Denn dann wäre das Gewurschtel in Berlin tatsächlich alternativlos, was es angesichts einer strukturell linken Mehrheit bei den letzten Wahlen nicht war. Der heimliche Bundespräsident der FDP sollte daher bei aller Überparteilichkeit die Kanzlerin Merkel nicht ganz vergessen, denn ohne die CDU wird es keine bürgerliche Koalition bei den nächsten Bundestagswahlen (oder davor) geben.

Posted by bo at 21:55
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Mittwoch, Juli 12, 2006

Zwillingsstudien

Polish president's twin to be PM

Seit einige Tagen ist die Welt Zeuge eines ganz besonderen Experiments, an dem die Zwillingsforscher des 20. Jahrhunderts ihre Freude gehabt hätten. Die Brüder Kaczynski - eineiige Zwillinge - teilen sich künftig die beiden höchsten Staatsämter. Bruder Lech, der seit letztem Jahr das Amt des Staatspräsidenten bekleidet erhält familiäre Unterstützung durch Bruder Jaroslaw, den Vorsitzenden der Partei Recht und Gerechtigkeit, die von beiden zusammen gegründet wurde. Bislang hatten die beiden Brüder noch auf das Feigenblatt in Form des Ministerpräsidenten Marcinkiewicz vertraut, der jedoch nach Streitigkeiten über den künftigen Wirtschaftskurs geschaßt wurde, in einer im übrigen demütigenden Art und Weise. Nun jedoch folgt ihm Jaroslaw Kaczynski als Regierungschef, und viele Beobachter meinen, daß dieser Schritt von Anfang geplant gewesen sei. Nepotismus in seiner reinsten Form, könnte man meinen, doch zumindest formal genügt dieser Schritt demokratischen Gepflogenheiten, denn beide verdanken ihre Ämter ordentlichen Wahlen. Polen ist hin- und hergerissen, wie viele ehemalige Ostblockstaaten, zwischen einer Politk der liberalen marktwirtschaftlichen Öffnung und links- wie rechtspopulistischer Abgrenzung vom Rest Europas sowie marktfeindlicher Sozialstaatsromantik. Die Partei der Kaczynski-Brüder hat dabei bei ihren Wahlerfolgen vor allem die Ängste und Vorurteile der ländlichen Bevölkerung sowie der Verlierer der politischen Wende Anfang der 90er Jahre bedient. Mittlerweile regiert sie in einer Koalition mit offen nationalistischen Parteien. Auch vor Plattheiten schreckt man in Warschau längst nicht mehr zurück, wie die Posse um die Absage des Treffens Lech Kazcynskis mit Angela Merkel und Jacques Chirac beweist. Angeblich krankheitsbedingt hätte der polnische Präsident nicht kommen können, tatsächlich aber erregte dieser sich über eine Karikatur in der Berliner taz, Mohammed läßt grüßen. Für Deutschland, aber auch die Europäische Union ist die Entwicklung in Polen bedauerlich, aber nicht unumkehrbar. Noch muß man nicht auf Abstand zur polnischen Regierung gehen, aber man sollte sich in Deutschland und Frankreich bewußt sein, wo die Freunde sitzen, nämlich auf der Oppositionsbank.

Posted by bo at 22:17
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Donnerstag, Juli 06, 2006

Israel zeigt sich maßlos

Israel kills 16 in Gaza as fighting intensifies

Man kann die Empörung Israels über die Entführung eines israelischen Soldaten durch palästinensische Terroristen gut verstehen. Die vollkommen überzogene Reaktion der Regierung Olmert läßt jedoch vermuten, daß die sich täglich ausweitende Militäraktion vor allem dem Zweck dient, die unliebsame Hamas-Regierung in die Knie zu zwingen. Ein Jahr nach dem Rückzug israelischer Streitkräfte befinden sich erneut nennenswerte Truppenteile im Gaza-Streifen. Mittels verschiedener Kommandooperationen ist man tief in palästinensisches Gebiet eingedrungen und hat am Boden wie aus der Luft Regierungsgebäude, Häuser vermeintlicher Terroristen wie auch zivile Infrastruktur zerstört, so z.B. ein Elektrizitätswerk, welches große Teile des Gaza-Streifens mit Strom versorgt. Das militärische Vorgehen Israels ist vollkommen unangemessen und zielt auf eine Demütigung der Palästinenser ab, wie auch andere Maßnahmen, z.B. die verschärfte Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Palästinensern aus Ost-Jerusalem. Derweil beschäftigt sich der UN-Menschenrechtsrat mit den israelischen Strafmaßnahmen, etliche europäische Länder enthielten sich dabei der Stimme, unter ihnen auch Deutschland. Dabei sind einzelne oder auch gehäufte vorkommene Menschenrechtsverletzungen noch nicht einmal das Schlimmste in diesem Konflikt. Schwerer wiegt die Tatsache, daß Israel längst beschlossen hat, das jahrzehntealte Ringen der beiden Völker um gemeinsames Land durch eine nachhaltige Separierung zu "lösen". Der gerade aus deutscher Sicht verzweifelt wirkende Mauerbau und die hingenommene, ja mitverursachte Schwächung des gemäßigten palästinensischen Präsidenten Abbas und seiner Anhänger werden eine dauerhafte Lösung des Konflikts verhindern.

Posted by bo at 21:50
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Mittwoch, Juli 05, 2006

Erröten

Erröten ist die Urform der Erotik.
Posted by bo at 17:15
Categories: Aphorismen

Sonntag, Juli 02, 2006

Ungesund

Gesundheitsreform: Diese Nacht wird teuer

Kaum ist mit der Föderalismusreform das größte Gesetzespaket seit Inkraftreten des Grundgesetzes im Bundestag durchgewunken worden, da treffen sich die Koalitionsspitzen in Berlin bereits, um über die letzten "Eckpunkte" der bevorstehenden Gesundheitsreform zu debattieren. Während die Föderalismusreform einen tatsächlich bezifferbaren Effekt erzielen wird, nämlich den Anteil zustimmungspflichtiger Gesetze durch den Bundesrat auf 30 bis 40 Prozent zu senken, steht der Nutzen dieser Gesundheitsreform in den Sternen. Die widerstreitenden Interessen sämtlicher Koalitionsparteien und ihrer jeweiligen Flügel sind kaum zu durchschauen. Vor allem die SPD plant einen Einstieg in die steuerfinanzierte Gesundheitspolitik. Das Motiv lautet, wie schon im Falle der mehrwertsteuerfinanzierten Senkung der Lohnnebenkosten, die Sozialkassen von den immer unzuverlässiger fließenden Arbeitslöhnen abzukoppeln. Sollte eine solche Lösung (anders als bei der Mehrwertsteuererhöhung) ohne Steuererhöhungen funktionieren, wäre dem auch bedingt zuzustimmen, allerdings sollte man darauf besser nicht sein Haus verwetten. Statt einer Reform, die die Schwächen unseres real-sozialistischen Gesundheitssystems energisch angeht, hört man aus Berlin lediglich neue Umverteilungsmelodien. Das von Merkel favorisierte Fondsmodell ist nichts weiter als eine weitere Umverteilungsmaschine mit derzeit unbekannten Kosten. Die Erfahrungen mit Hartz IV sollten die Politik hier eigentlich nachdenklich machen. Die Schwächen unseres Gesundheitssystems sind im übrigen nicht die stetig wachsenden Kosten (seien es die berechtigten Ansprüche der Ärzte an eine marktgerechte Bezahlung oder die teure Apparatemedizin), sondern die höchst ineffiziente und marktferne Verwendung der ihm zufließenden Mittel. Die Frage eines echten Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen (sowie weiterer Randprobleme wie dem mittelalterlich anmutenden Apothekenkartell) und vor allem die dramatische demographische Lage werden in der nun diskutierten Reform jedoch nicht einmal angedacht. Zugegeben, nicht nur Deutschland hat mit diesen Entwicklungen so seine Probleme, auch viele andere westliche Industrienationen sehen im Vergleich kaum besser aus. Dies allerdings entschuldigt nicht den kurzsichtigen und einfallslosen Versuch der Großen Koalition, die Milliardenlücken im System der gesetzlichen Krankenversicherungen einfach mit neuen Steuerquellen zu decken. Dabei wäre der zu beschreitende Weg recht einfach und übrigens dem freilich halbherzig unternommenen Schritt in Richtung privater Altersvorsorge gar nicht so unähnlich. Nur die Umstellung der derzeit umlagefinanzierten gesetzlichen Krankenversicherung auf ein kapitalgedecktes System sowie die Freigabe des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen können langfristig einen Ausweg aus der derzeitigen Misere bieten.

Posted by bo at 20:27
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Sonntag, Juni 18, 2006

Teile und heirate

Streit ums Ehegattensplitting wird schärfer

Wie schon auf anderen Politikfeldern, wächst die Große Koalition auch in familienpolitischen Grundsatzfragen zusammen. CDU-Generalsekretär Pofalla schreckte Teile seiner Partei mit seinen progressiven Vorstellungen zur Einführung eines Familiensplittings auf. Besonders aus der CSU werden Stimmen laut, die vor einer Abschaffung des Ehegattensplittings in seiner derzeitigen Form warnen. In der größeren Schwesterpartei hingegen gibt es deutlichen Rückenwind für eine Modernisierung der mit Steueranreizen arbeitenden Familienpolitik, die in Zukunft vor allem Familien mit Kindern und nicht ein kinderloses Ehepaar unterstützen will. Derzeit bleiben über 40 Prozent aller Ehen kinderlos, profitieren aber dennoch von den erheblichen Steuervorteilen, die das Ehegattensplitting mit sich bringt. Dabei ist der von den Verteidigern der derzeitigen Regelung vorgebrachte Hinweis auf die verfassungsmäßige Sonderstellung der Ehe nur bedingt richtig. Denn eigentlich heißt es in Artikel 6 des Grundgesetzes ja, daß "Ehe und Familie" unter einem besonderen Schutz stehen. Und Familie bedeutet heutzutage nach allgemeinem Verständnis natürlich nicht nur das mit Trauschein lebende Ehepaar. Eine steuerliche Besserstellung von unehelichen Lebensgemeinschaften, sofern sie Kinder haben, ist wünschenswert. Allerdings wird eine derartige Lösung vor ähnlichen Nachweisproblemen stehen wie die bei Hart IV so kostspielige Regelung bei den Bedarfsgemeinschaften. Eine Möglichkeit bestünde darin, mit Steuerfreibeträgen je Kind zu arbeiten, deren Anwendbarkeit z.B. an das Sorgerecht gekoppelt wäre. Um die zahlreichen Kritiker in ihrer eigenen Partei auf den Modernisierungsweg mitzunehmen, wird Angela Merkel vermutlich das Ehegattensplitting nicht zur Gänze abschaffen, sondern die bestehende Regelung um ein Familiensplitting erweitern. Ein solcher vermutlich nicht ganz billiger Kompromiß wäre allerdings nur gutzuheißen, wenn zugleich Einschnitte an anderer Stelle vorgenommen würden.

Posted by bo at 23:23
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Montag, Juni 12, 2006

Schüssel sinniert über Europa

Wolfgang Schüssel: "Die Kernbotschaft Europas finden Sie auf jedem Dorffriedhof"

Europa liegt derzeit auf der Couch. Der Selbstfindungsprozeß dauert spätestens seit der Ablehung des Verfassungsentwurfes in Frankreich und den Niederlanden an und treibt bisweilen seltsame Blüten. Obwohl offensichtlich keine Chance mehr besteht, die "Europäische Verfassung" in ihrer alten Form durchzusetzen, hat Bundeskanzlerin Merkel bis vor kurzem sogar behauptet, das tote Kind mit offensichtlich übersinnlichen Fähigkeiten wieder zum Leben erwecken zu können. Davon ist nun jedoch jedoch nicht mehr die Rede, wenn Merkel Mitte des Monats zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs fährt. Der Hoffnung, daß Teile des Verfassungsentwurfes noch gerettet werden können, hängen etliche europäische Regierungen nach, beileibe nicht nur die deutsche. Die Fragen der Verfaßtheit Europas, seine Maßstäbe, Gewaltenteilung und Handlungsfähigkeit sind durchaus wesentliche Fragen für das künftige Funktionieren des größten Staatenbundes der Welt, der sich anschickt, weiter zu wachsen. Doch sieht sich die Europäische Gemeinschaft zunehmend ideologischen Konflikten ausgesetzt, die schon die jeweiligen nationalen Regierungen unterschiedlich beantworten. Die Haltung der verschiedenen europäischen Länder zum Irak-Krieg, der Streit um die Dienstleistungsrichtlinie oder die Erweiterungsdebatte sind nur einige Beispiele. Der Grundsatzstreit um eine liberal-marktwirtschaftliche Union, die den Stürmen der Globalisierung ein modernes und leistungsfähiges Europa entgegensetzt, sowie die entgegengesetzte Vorstellung eines Sozialstaatsparadieses, welches sich vom Unbill der Welt abzukoppeln trachtet, hat gerade erst angefangen. Die Europäische Kommission sucht mehr schlecht als recht dem übernationalen Gemeinschaftsinteresse zu seinem Recht zu verhelfen, nicht ohne dabei stets von den eifersüchtig über ihre Privilegien wachenden Nationalstaaten ausgebremst zu werden. Sinnstiftend befindet der österreichische Bundeskanzler und Noch-Ratsvorsitzende Schüssel, Europa müsse wieder zur Herzensangelegenheit gemacht werden, letztlich sei die beste Begründung für ein geeintes Europa immer noch auf jedem "Dorffriedhof" zu finden. Hier irrt Herr Schüssel leider gewaltig. Zwar mag für seine Generation der Friede in Europa noch eine Errungenschaft gewesen sein, für die heutigen jungen (West-)Europäer ist er eine Selbstverständlichkeit. Vielmehr gälte es, eine Idee von Europa zu entwickeln, die um die beiden zentralen Pfeiler wirtschaftlicher Prosperität und machtpolitischer Eigenständigkeit kreist. Würde Europa tatsächlich zu jener leistungsfähigsten Volkswirtschaft des Jahres 2010 aufsteigen, wie es die vom derzeitigen Kommissionspräsidenten Barroso befürwortete Lissabon-Strategie vorgegeben hat, würde dies gleichzeitig auch viel für den europäischen Gedanken tun. Die Nationalstaaten, die auch von vielen Liberalen immer noch als natürlicher Rahmen ordnungspolitischer Reformen angesehen werden, sind doch längst mit den Herausforderungen, vor die uns Asien sowie Nordamerika stellen, überfordert. Ebenso verhält es sich mit der Steuerung der Einwanderung oder den Integrationsschwierigkeiten der Millionen bereits in Europa lebenden Immigranten. Am offensichtlichsten aber wird die Schwäche der Nationalstaaten in der Außen- und Verteidigungspolitik. Nur Europa bietet mittelfristig die Perspektive für eine selbstbewußte und interessengeleitete Außenpolitik, die uns zu einem gleichberechtigen Partner der USA und einem Gegengewicht aufstrebender und nicht immer friedlich gesonnener Mittelmächte machen kann. Ein solches Europa jedoch wird nicht mehr nach behäbigen 5-Jahres-Plänen funktionieren können und jedes halbe Jahr eine neue Agenda verkünden können, weil es sein folkloristischer Brauch der wechselnden Ratspräsidentschaft so will. Ein solches Europa muß übernational, demkokratisch und liberal verfaßt sein, soll es mit Veränderungen in der Welt Schritt halten können.

Posted by bo at 22:28
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Sonntag, Juni 04, 2006

Engagement in Afrika

Mehrheit der Deutschen lehnt Einsatz im Kongo ab

Deutschland hat entschieden und wird einige hundert Soldaten zur Absicherung von Wahlen in den Kongo schicken. Das Vorhaben war in der großen Koalition nicht wirklich umstritten, so daß sich nur wenige Abweichler mit dieser Art außenpolitischem Engagement nicht einverstanden zeigten. Ablehnung hingegen gab es bei FDP und der Linkspartei, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven. Während die ehemalige PDS das Vorhaben mit hehren pazifistischen Argumenten verdammte, führten die Freien Demokraten vor allem die stümperhafte Vorbereitung des Vorhabens gegen den guten Willen der Regierung ins Feld. Die FDP bezweifelt, daß ein auf wenige Monate und auf die Hauptstadt des riesigen Landes begrenzter Einsatz dauerhaft zu einer Stabilisierung beitragen könne. Diese Zweifel sind berechtigt, allerdings kann man genauso gut dagegen ins Feld führen, daß eben auch die Kosten und Risiken des Vorhabens begrenzt seien, man es also auch einfach mal "versuchen" könne. Sehr viel idealistischer haben sich die Grünen dem Thema genähert, deren Abgeordnete mit überwältigender Mehrheit dem Einsatz zugestimmt haben. Ihr Fraktionschef Kuhn zeigte sich davon überzeugt, daß von der Sicherung demokratischer Wahlen ein Signal auch für andere afrikanische Länder ausgehe. Verkehrte Welt im Bundestag? Nicht ganz, denn schon der Kosovo-Einsatz zeigte, wie sehr sich SPD und Grüne von ihrer Wählerbasis entfernen können, wenn der gute Zweck es erlaubt. Das Wahlvolk derweil bleibt skeptisch, und so lehnen fast 60 Prozent der Deutschen den Einsatz ab. Der außenpolitische Streit zwischen Idealisten und den wieder an Zulauf gewinnenden Anhängern einer interessengeleiteten Außenpolitik entzweit nicht nur die Gelehrten. Tatsächlich darf man fragen, warum ausgerechnet Deutschland die größte Zahl von Soldaten für den Einsatz stellt, gehörte der Kongo doch bisher klar zum französischen Interessengebiet. Europa als Ganzes jedoch kann die Entwicklung in dem rohstoffreichen Land nicht egal sein, und es versteht sich daher von selbst, daß Deutschland als major player eine besondere Verantwortung tragen muß. Leider gehen der neue Geltungsanspruch Deutschlands und die Ausstattung unserer Streitkräfte nicht konform. Dafür muß man nicht einmal an die absurd erscheinenden, aber leider wahren Geschichten selbst gekaufter Ausrüstungsgegenstände unserer Soldaten in Afghanistan denken. Die Überbeanspruchung der Bundeswehr ist beschämend, und wenn einmal der Zusammenhang mit vermeidbaren Todesfällen klar wird, dann wird sich das Parlament unter öffentlichem Druck auch mit den materiellen Grundlagen unserer weltweiten Interventionen beschäftigen müssen. Derweil wartet man gespannt auf das Weißbuch unseres Verteidigungsministers Jung, welches Deutschlands Interessen sehr umfangreich definieren wird. Der Einsatz im Kongo ist allerdings der beste Beweis dafür, daß Deutschland längst aus seinem Dornrößchenschlaf wachgeküßt wurde.

Posted by bo at 22:12
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