Montag, Juli 17, 2006

Köhlers neue Unabhängigkeit

Standpauke für Merkel & Co.

Als Außenseiter war er auf den Stuhl des Bundespräsidenten gekommen, den sonst für gewöhnlich nur altgediente Haudegen der Bundespolitik einnehmen. Der ehemalige Präsident des Internationalen Währungsfonds und Kohl-Vertraute Horst Köhler war der Überraschungskandidat Angela Merkels für das höchste Staatsamt im Jahre 2004, und vor allem die FDP konnte sich damals für den Wirtschaftsfachmann begeistern. Nach anfänglicher Unsicherheit kann man beim Bundespräsidenten seit einiger Zeit ein zunehmendes Selbstvertrauen und eine gewachsene Unabhängigkeit beobachten, wie dies immer schon der Fall war, wenn die Erkenntnis reifte, daß aus der faktischen Machtlosigkeit des Amtes eine im politischen System Deutschlands einmalige moralische Autorität erwächst. Statt einer schwarz-gelben Koalition steht Köhler nun seit letztem Jahr einer großen Koalition vor, mit der sich anfangs auch für ihn Hoffnungen verbanden. Zur Halbzeit seiner Amtsperiode nun zeigt sich Köhler ungeduldig und liest der Regierung Merkel kräftig die Leviten. Die große Koalition packe die entscheidenden Probleme nicht entschlossen genug an und würde sich in parteipolitischen Streitereien ergehen statt Sachpolitik zu betreiben. Im Gegensatz zur Kanzlerin, die sich derzeit über die vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenzahlen freut, sieht der Bundespräsident das Problem als ungelöst an, womit er zweifellos recht hat. Die Reaktionen der Koalitionäre reichen von Lob und Zustimmung auf Seiten der FDP oder auch aus Bayern bis hin zu der lakonischen Bemerkung Münteferings, daß es Köhler freistehe, "seine eigene Meinung zu äußern". Auf diese Weise seine eigene Machtfülle zurschaustellend, übersieht der Arbeitsminister freilich, daß Köhler, der - wie bei der Fußball-WM deutlich sichtbar - ein gutes Gespür für Stimmungen und Bewegungen in Deutschland hat, sich damit an die Spitze der frustrierten Wähler einer ungewollten Koalition gesetzt hat. Sollte das Wahlvolk die Koalition aus CDU/CSU und SPD allerdings auch weiterhin in Meinungsumfragen mit Liebesentzug strafen, so würde dies paradoxerweise gerade nicht zum vorzeitigen Ende des Bündnisses führen. Denn dann wäre das Gewurschtel in Berlin tatsächlich alternativlos, was es angesichts einer strukturell linken Mehrheit bei den letzten Wahlen nicht war. Der heimliche Bundespräsident der FDP sollte daher bei aller Überparteilichkeit die Kanzlerin Merkel nicht ganz vergessen, denn ohne die CDU wird es keine bürgerliche Koalition bei den nächsten Bundestagswahlen (oder davor) geben.

Posted by bo at 21:55
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Mittwoch, Juli 12, 2006

Zwillingsstudien

Polish president's twin to be PM

Seit einige Tagen ist die Welt Zeuge eines ganz besonderen Experiments, an dem die Zwillingsforscher des 20. Jahrhunderts ihre Freude gehabt hätten. Die Brüder Kaczynski - eineiige Zwillinge - teilen sich künftig die beiden höchsten Staatsämter. Bruder Lech, der seit letztem Jahr das Amt des Staatspräsidenten bekleidet erhält familiäre Unterstützung durch Bruder Jaroslaw, den Vorsitzenden der Partei Recht und Gerechtigkeit, die von beiden zusammen gegründet wurde. Bislang hatten die beiden Brüder noch auf das Feigenblatt in Form des Ministerpräsidenten Marcinkiewicz vertraut, der jedoch nach Streitigkeiten über den künftigen Wirtschaftskurs geschaßt wurde, in einer im übrigen demütigenden Art und Weise. Nun jedoch folgt ihm Jaroslaw Kaczynski als Regierungschef, und viele Beobachter meinen, daß dieser Schritt von Anfang geplant gewesen sei. Nepotismus in seiner reinsten Form, könnte man meinen, doch zumindest formal genügt dieser Schritt demokratischen Gepflogenheiten, denn beide verdanken ihre Ämter ordentlichen Wahlen. Polen ist hin- und hergerissen, wie viele ehemalige Ostblockstaaten, zwischen einer Politk der liberalen marktwirtschaftlichen Öffnung und links- wie rechtspopulistischer Abgrenzung vom Rest Europas sowie marktfeindlicher Sozialstaatsromantik. Die Partei der Kaczynski-Brüder hat dabei bei ihren Wahlerfolgen vor allem die Ängste und Vorurteile der ländlichen Bevölkerung sowie der Verlierer der politischen Wende Anfang der 90er Jahre bedient. Mittlerweile regiert sie in einer Koalition mit offen nationalistischen Parteien. Auch vor Plattheiten schreckt man in Warschau längst nicht mehr zurück, wie die Posse um die Absage des Treffens Lech Kazcynskis mit Angela Merkel und Jacques Chirac beweist. Angeblich krankheitsbedingt hätte der polnische Präsident nicht kommen können, tatsächlich aber erregte dieser sich über eine Karikatur in der Berliner taz, Mohammed läßt grüßen. Für Deutschland, aber auch die Europäische Union ist die Entwicklung in Polen bedauerlich, aber nicht unumkehrbar. Noch muß man nicht auf Abstand zur polnischen Regierung gehen, aber man sollte sich in Deutschland und Frankreich bewußt sein, wo die Freunde sitzen, nämlich auf der Oppositionsbank.

Posted by bo at 22:17
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Donnerstag, Juli 06, 2006

Israel zeigt sich maßlos

Israel kills 16 in Gaza as fighting intensifies

Man kann die Empörung Israels über die Entführung eines israelischen Soldaten durch palästinensische Terroristen gut verstehen. Die vollkommen überzogene Reaktion der Regierung Olmert läßt jedoch vermuten, daß die sich täglich ausweitende Militäraktion vor allem dem Zweck dient, die unliebsame Hamas-Regierung in die Knie zu zwingen. Ein Jahr nach dem Rückzug israelischer Streitkräfte befinden sich erneut nennenswerte Truppenteile im Gaza-Streifen. Mittels verschiedener Kommandooperationen ist man tief in palästinensisches Gebiet eingedrungen und hat am Boden wie aus der Luft Regierungsgebäude, Häuser vermeintlicher Terroristen wie auch zivile Infrastruktur zerstört, so z.B. ein Elektrizitätswerk, welches große Teile des Gaza-Streifens mit Strom versorgt. Das militärische Vorgehen Israels ist vollkommen unangemessen und zielt auf eine Demütigung der Palästinenser ab, wie auch andere Maßnahmen, z.B. die verschärfte Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Palästinensern aus Ost-Jerusalem. Derweil beschäftigt sich der UN-Menschenrechtsrat mit den israelischen Strafmaßnahmen, etliche europäische Länder enthielten sich dabei der Stimme, unter ihnen auch Deutschland. Dabei sind einzelne oder auch gehäufte vorkommene Menschenrechtsverletzungen noch nicht einmal das Schlimmste in diesem Konflikt. Schwerer wiegt die Tatsache, daß Israel längst beschlossen hat, das jahrzehntealte Ringen der beiden Völker um gemeinsames Land durch eine nachhaltige Separierung zu "lösen". Der gerade aus deutscher Sicht verzweifelt wirkende Mauerbau und die hingenommene, ja mitverursachte Schwächung des gemäßigten palästinensischen Präsidenten Abbas und seiner Anhänger werden eine dauerhafte Lösung des Konflikts verhindern.

Posted by bo at 21:50
Categories: Aus der Ferne betrachtet

Mittwoch, Juli 05, 2006

Erröten

Erröten ist die Urform der Erotik.
Posted by bo at 17:15
Categories: Aphorismen

Sonntag, Juli 02, 2006

Ungesund

Gesundheitsreform: Diese Nacht wird teuer

Kaum ist mit der Föderalismusreform das größte Gesetzespaket seit Inkraftreten des Grundgesetzes im Bundestag durchgewunken worden, da treffen sich die Koalitionsspitzen in Berlin bereits, um über die letzten "Eckpunkte" der bevorstehenden Gesundheitsreform zu debattieren. Während die Föderalismusreform einen tatsächlich bezifferbaren Effekt erzielen wird, nämlich den Anteil zustimmungspflichtiger Gesetze durch den Bundesrat auf 30 bis 40 Prozent zu senken, steht der Nutzen dieser Gesundheitsreform in den Sternen. Die widerstreitenden Interessen sämtlicher Koalitionsparteien und ihrer jeweiligen Flügel sind kaum zu durchschauen. Vor allem die SPD plant einen Einstieg in die steuerfinanzierte Gesundheitspolitik. Das Motiv lautet, wie schon im Falle der mehrwertsteuerfinanzierten Senkung der Lohnnebenkosten, die Sozialkassen von den immer unzuverlässiger fließenden Arbeitslöhnen abzukoppeln. Sollte eine solche Lösung (anders als bei der Mehrwertsteuererhöhung) ohne Steuererhöhungen funktionieren, wäre dem auch bedingt zuzustimmen, allerdings sollte man darauf besser nicht sein Haus verwetten. Statt einer Reform, die die Schwächen unseres real-sozialistischen Gesundheitssystems energisch angeht, hört man aus Berlin lediglich neue Umverteilungsmelodien. Das von Merkel favorisierte Fondsmodell ist nichts weiter als eine weitere Umverteilungsmaschine mit derzeit unbekannten Kosten. Die Erfahrungen mit Hartz IV sollten die Politik hier eigentlich nachdenklich machen. Die Schwächen unseres Gesundheitssystems sind im übrigen nicht die stetig wachsenden Kosten (seien es die berechtigten Ansprüche der Ärzte an eine marktgerechte Bezahlung oder die teure Apparatemedizin), sondern die höchst ineffiziente und marktferne Verwendung der ihm zufließenden Mittel. Die Frage eines echten Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen (sowie weiterer Randprobleme wie dem mittelalterlich anmutenden Apothekenkartell) und vor allem die dramatische demographische Lage werden in der nun diskutierten Reform jedoch nicht einmal angedacht. Zugegeben, nicht nur Deutschland hat mit diesen Entwicklungen so seine Probleme, auch viele andere westliche Industrienationen sehen im Vergleich kaum besser aus. Dies allerdings entschuldigt nicht den kurzsichtigen und einfallslosen Versuch der Großen Koalition, die Milliardenlücken im System der gesetzlichen Krankenversicherungen einfach mit neuen Steuerquellen zu decken. Dabei wäre der zu beschreitende Weg recht einfach und übrigens dem freilich halbherzig unternommenen Schritt in Richtung privater Altersvorsorge gar nicht so unähnlich. Nur die Umstellung der derzeit umlagefinanzierten gesetzlichen Krankenversicherung auf ein kapitalgedecktes System sowie die Freigabe des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen können langfristig einen Ausweg aus der derzeitigen Misere bieten.

Posted by bo at 20:27
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