Freitag, April 28, 2006

Grundsatzdebatten

Koch verlangt Abgrenzung zur SPD

Wer hat nicht einmal in gutgläubiger Begeisterung, zum Beispiel kurz nach Erlangung des Wahlrechts, ein Parteiprogramm von CDU, SPD, FDP oder den Grünen gelesen. Erbauliches liest man da über das Selbstverständnis der jeweiligen politischen Partei, ihre Wertvorstellungen und politischen Grundsätze. Politische Prosa, die machmal pathetisch, bisweilen profan oft aber aber einfach nur geschwätzig daherkommt, der man aber auch wiederum nicht das Bemühen abstreiten möchte, allen Flügelinteressen nachgekommen zu sein und damit einen unverzichtbaren Beitrag für den innerparteilichen Frieden geleistet zu haben. Die SPD ersetzte das wegweisende Godesberger Programm von 1959, in welchem die Partei ihren Frieden mit der sozialen Marktwirtschaft gemacht hatte, erst 30 Jahre später durch das sogenannte "Berliner Programm". Das im Dezember 1989 verabschiedete Programm war also schon veraltet, kaum daß es verabschiedet war. Die umwälzenden Veränderungen der Jahre 1989 und 1990 in Europa trafen die SPD, die sich längst von der Deutschen Einheit verabschiedet hatte, unvorbereitet. Ihr neues Parteiprogramm war ein Produkt westdeutschen Spätsozialdemokratismus und blieb es bis zu seiner Ergänzung im Jahre 1998. In den letzten Jahren ist die Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm von den vielfachen Wechseln an der Parteispitze beeinträchtigt worden, und auch Matthias Platzeck ist nun aus seiner Arbeit herausgerissen worden. Kurt Beck wird nun auch diese Aufgabe von ihm übernehmen, und allem Anschein nach ist damit das langweiligste Parteiprogramm der SPD in ihrer langen Geschichte zu erwarten, denn der auf Ausgleich bedachte Parteivorsitzende will es anscheinend allen recht machen. Just zu dieser Zeit beginnt auch die CDU ihre Arbeit am neuen Grundsatzprogramm unter der Federführung ihres Generalsekretärs Pofalla. Zunächst wird man sich beim Koalitionspartner mit den Grundwerten beschäftigen und hat dazu auch gleich eine Programmkommission eingesetzt, will aber möglichst auch sämtliche Parteigliederungen bis hin zu den Kreisverbänden an der Debatte beteiligen. Pofalla gilt als Modernisierer und er wird dabei die Unterstützung seiner Parteivorsitzenden finden. Daß die beiden Koalitionspartner in diesen Wochen Schlagzeilen mit ihren Parteiprogrammen machen darf man auch als Ausdruck dringend benötigter Selbstvergewisserung verstehen. Insbesondere die Parteiprogrammatiker und Theoretiker in beiden Lagern können sich mit der Verwässerung der reinen Lehre in Koalitionsvertrag und alltäglicher Politik des Bündnisses aus CDU/CSU und SPD nur schwer abfinden. Da dient die Arbeit an den Parteipogrammen auch als Ventil und dürfte die Mobilisierung der eigenen Anhänger im Wahlkampf des Jahres 2009 erleichtern.

Posted by bo at 21:58
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Montag, April 24, 2006

Chaos

Chaos ist die Ordnung, die mit weniger Regeln auskommt.
Posted by bo at 24:26
Categories: Aphorismen

Mittwoch, April 19, 2006

Sieg für Prodi

Italy confirms Prodi poll victory

Als erste Nachkriegsregierung Italiens hat Berlusconis Regierung eine volle Amtszeit überstanden. Nicht vorzeitig, sondern endgültig ist ihr Ende nun von einem Gericht bestätigt worden, nachdem das übermäßig komplizierte Wahlsystem einen stimmenmäßig knappen, in Parlamentssitzen jedoch deutlichen Sieg der Mitte-Links-Allianz Romano Prodis beschert hatte. Als Berlusconis im Mai 2001 gewählte Mitte-Rechts-Koalition einen Sieg in beiden Parlamentskammern errang, da jubilierte die Wirtschaft in Italien. Der Medien-Tycoon Berlusconi, selbst Besitzer der drei wichtigsten privaten Fernsehkanäle, hatte niedrigere Steuern, einen Abbau der Staatsverschuldung und Wirtschaftswachstum versprochen. Italiens durchschnittliches Wirtschaftswachstum in den letzten 15 Jahren ist das niedrigste in der gesamten EU, seine von kleinen Familienbetrieben geprägt Wirtschaft steht unter erhöhtem Globalisierungsdruck. Mit seiner rekordverdächtig niedrigen Geburtenrate steht das Land vor den gleichen Problemen wie auch Deutschland, eine immer älter werdende Bevölkerung, hohe Arbeitslosigkeit und ein fetter Sozialstaat sind die Markenzeichen. Dabei kann Italien sich nicht wie der große Nachbar im Norden auf eine starke Exportindustrie verlassen. Dies beweist, daß aus Berlusconis Versprechungen von marktwirtschaftlichen Reformen, Privatisierungen und einer allgemeinen Deregulierung nicht viel geworden ist. Unter anderen lag dies daran, daß der Ministerpräsident häufig mit juristischen Scharmützeln um seine eigene Person beschäftigt war. Angreifbar war er vor allem als Medienmonopolist, dem als Regierungschef nun sogar noch die staatliche RAI und damit rund 90 Prozent des Fernsehmarktes "gehörten", aber auch wegen diverser Vorgänge aus seiner Zeit vor 2001. Mehr als ungeschickt war auch ein Gesetzesvorhaben, welches völlige Immunität für ihn selbst und einige seiner engsten Vertrauten vorsah, ein Versuch, der schließlich vom Verfassungsgericht vereitelt wurde. Seine nun gezeigte Weigerung (die wie dunkles Echo der Schröderschen Wahlnachtsphantasien anmutet), den knappen Wahlausgang als Niederlage anzunehmen, zeigt zudem sein zwiespältiges Verhältnis zur Demokratie. Ein wesentlicher Grund für Berlusconis bescheidenes Wirken im Sinne seines eigenen Programmes aber liegt in der für Italien typischen Regierungskonstellation, einem Bündnis vieler, oft widerstreitender Parteien. So hatte sich Berlusconis Partei Forza Italia unter anderem mit der Lega Nord, der Alleanza Nazionale und den Christdemokraten zu arrangieren. Vor ähnlichen Problemen wird nun auch Prodi stehen, er führt eine Koalition von nicht weniger als 9 Parteien an. Der nur wenig jüngere ehemalige EU-Komissionspräsident, der von 1996 bis 1998 bereits schon einmal Ministerpräsident von Italien war, verkörpt allerdings auch programmatisch wenig Hoffnung für das am Rande einer Rezession stehende Land.

Posted by bo at 22:27
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Montag, April 17, 2006

Beck at Bay

Widerstand gegen Becks Plädoyer für höhere Steuern

Der gesundheitsbedingte Rücktritt Matthias Platzecks vom Amt des SPD-Vorsitzenden ist zu bedauern. Für seine eigene Partei, für die Große Koalition und auch für Deutschland. Platzeck verkörperte, abzulesen an seinem phänomenalen Wahlergebnis im letzten Jahr, eine ähnlich große Hoffnung für die SPD wie ehedem Angela Merkel für die CDU nach dem Niedergang in Folge der Spendenaffären. Die andere auffällige Gemeinsamkeit - beide stammen aus den neuen Bundesländern - ließ den Rückschluß zu, daß auch Platzeck, wenig ideologisch, dafür umso pragmatischer, Politik nicht als Karriere, sondern als notwendige Konsequenz aus den gemachten Lebenserfahrungen in einer Diktatur betrieb. Seine Herkunft und beruflicher Werdegang unterschieden ihn von vielen seiner Parteigenossen, vor allem denjenigen aus dem Westen Deutschlands, die in erheblichem Maße aus dem gewerkschaftlichen Umfeld oder dem öffentlichen Dienst stammen. Mit Kurt Beck steht nun eine neuer Vorsitzender in den Startlöchern, der nicht nur anders sozialisiert ist, sondern auch für eine althergebrachte sozialdemokratische Linie steht. Beck wirkt zwar nicht vordergründig ideologisch festgefahren, geschickt hält er von allen Parteiflügeln gebührenden Abstand. Doch lassen seine ersten Äußerungen erkennen, daß er klar dem etatistischen Lager zuzurechnen ist, welches soziale Gerechtigkeit mit Sozialstaat gleichsetzt. Wenn er sich, wie kürzlich, für höhere Steuern ausspricht, weil anders die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland zu finanzieren seien, so darf man vermuten, daß mit Infrastruktur vor allem neue Büroflächen für die Bundesagentur für Arbeit gemeint sind. Für Angela Merkel und und ihre Regierung stellt der neue Vorsitzende der SPD zunächst keine Bedrohung dar, wenngleich Beck mit seinen unverhohlenen Avancen in Richtung FDP schon einmal klar gemacht hat, daß man auch anders könne. Er selber hat ja viele Jahre mit der FDP in Rheinland-Pfalz regiert, die er nun nach seinem Wahlsieg zwar nicht mehr braucht, doch mit dieser Erfahrung im Rücken erscheint er als die ideale Verkörperung einer sozial-liberalen Perspektive im Bund. Machtbewußt und mit strategisch richtiger Ausrichtung ist Beck ein ernstzunehmender Gegner für die Christdemokraten im Bund. Der Kampf um die Koalitionspartner FDP und Grüne wird zum Ende der Legislaturperiode (oder vorher?) voll entbrannt sein. Es ist zu befürchten, daß der SPD am Ende mehr Alternativen zur Auswahl stehen, selbst wenn man sich noch zu fein hält für ein Bündnis mit der Linkspartei.

Posted by bo at 22:01
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Montag, April 10, 2006

Atombomben gegen Atombombe

Bush dismisses 'Iran attack plan'

Auch wenn die amerikanische Regierung und ihr Präsident Bush die Berichte über Pläne des Pentagons für einen auch mit Nuklearwaffen geführten Schlag gegen die iranischen Atomanlagen vehement zurückweisen, ganz aus der Luft gegriffen sind sie mit Sicherheit nicht. Der im Magazin The New Yorker erschienene und von der Publizisten-Ikone Seymor Hersh unter Angabe vieler ungenannter Quellen aus Regierung und Geheimdiensten verfaßte Artikel ist zwar tendenziös geschrieben und verfolgt klar das Ziel, eine Anti-Kriegs-Stimmung in den USA zu befördern, doch wäre die westliche Führungsmacht schlecht beraten, würde sie sich nicht für alle Eventualitäten rüsten. Dazu gehört nun einmal auch, das so gefährliche iranische Atomprogramm mit militärischen Mitteln auszuschalten. Daß dabei, wie von Hersh behauptet, auch der Einsatz taktischer Nuklearwaffen von den Planern erwogen wird, erscheint logisch, denn mit konventionellen Bomben sind einige der unterirdisch gebauten iranischen Anlagen nicht auszuschalten. Hersh, der schon über das Massaker von My Lai im Jahre 1968 berichtete und 2004 den Skandal um Abu Ghraib aufdeckte, versucht in seinem Artikel, die militärischen Planungen im Verteidigungsministerium mit wohlbekannten politischen Forderungen nach einem Regimewechsel im Iran zu verquicken. Dafür jedoch gibt es wenig Anhaltspunkte, und die amerikanische Regierung wäre schlecht beraten, um Zustimmung für ein solch aussichtsloses Vorhaben bei ihrer Bevölkerung zu werben. Ein Sturz der iranischen Regierung wäre keine Lösung für das Problem und würde auch nicht automatisch einem begrenzten Militärschlag folgen. Das iranische Machtgefüge ist derzeit schon undurchsichtig genug und kennt eine Gewaltenteilung ganz eigener Art. Der Westen sollte sich keinerlei Hoffnungen hingeben, ähnliche Weltverbesserungsideen wie im Irak zur Grundlage seiner Anti-Iran-Politk machen zu können. Hersh zufolge werde der iranische Staatspräsident Ahmadineschad in Washington längst schon als der neue Adolf Hitler angesehen. Und obwohl dieser historische Vergleich gar nicht einmal an den Haaren herbeigezogen wirkt, sollten solche Außerungen und Stimmungen in der amerikanischen Regierung nicht die Sicht auf die Realitäten vernebeln. Dazu gehört es vor allem, daß trotz aller militärischer Planspiele im Pentagon, das offizielle amerikanische Regierungshandeln nach wie vor auf eine diplomatische Lösung ausgerichtet ist. Das Bild, das Hersh hier zeichnet, leidet in diesem Punkt leider an journalistischem Größenwahn, der darauf abzielt, bestimmenden Einfluß auf die Willensbildung in der amerikanischen Bevölkerung nehmen zu können. George Bush fiel es daher heute leicht, die Kernaussage, daß die Regierung sich längst den diplomatischen Mitteln ab- und den militärischen Lösungen zugewandt habe, als wilde Spekulation zurückzuweisen.

Posted by bo at 23:19
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Freitag, April 07, 2006

Immigration Wars

Senate delays US immigration deal

Immigration Wars tönt es martialisch, wenn in amerikanischen Nachrichtensendungen über die vor allem in Kalifornien stattfindenden Großdemonstrationen von Einwanderern berichtet wird. Hunderttausende Einwanderer oder ihre Kinder gingen in verschiedenen Großstädten in den letzten Wochen auf die Straße, um für ihr Bleiberecht und eine großzügige Immigrationspolitik in den Vereinigten Staaten zu demonstrieren. Die Proteste richten sich gegen ein im letzten Jahr vom Repräsentatenhaus verabschiedetes Gesetz, welches die Kriminalisierung von illegalen Einwanderern sowie ein verschärftes Grenzregime an der amerikanisch-mexikanischen Grenze vorsieht. Diesem ersten Akt folgte der zweite, ein in die entgegengesetzte Richtung arbeitender Gesetzentwurf, der dem Senat heute zur Abstimmung vorlag. Dieser sieht ein Bleiberecht für Immigranten vor, die sich seit mindestens 5 Jahren in den USA aufhalten sowie die Genehmigung von temporären Arbeitsvisa für solche, die bereit sind, sich zu registrieren, aber erst zwei bis fünf Jahre in den USA leben. Das überparteiliche Projekt ist heute jedoch an prozeduralen Fragen gescheitert, was auch als persönliche Schlappe für den amerikanischen Präsidenten gelten darf. Dieser hatte sich, in dem Bemühen, seine wichtigsten Unterstützergruppen - die Sozialkonservativen und die Wirtschaft - mit einem Kompromiß in die richtige Richtung zu ziehen, für das liberale Senatsgesetz stark gemacht. Der Präsident weiß sich in Übereinstimmung mit einer Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung, wenn er sich zwar gegen die illegale Einwanderung ausspricht, zugleich aber die Bedeutung von Zuwandereren für die amerikanische Ökonomie anerkennt und somit populistischen Ausländer-Raus-Rufen nicht nachgibt. Allerdings hat George Bush auch stets versucht, den Eindruck zu vermeiden, er würde sich für eine Amnestie für die auf ca. 11 Millionen geschätzte Zahl derzeit in den USA lebender illegaler Einwanderer aussprechen. Das müssen der Präsident, aber auch viele seiner republikanischen Parteigenossen, tunlichst vermeiden, wollen sie bei den in diesem Jahr anstehenden Zwischenwahlen für den Kongreß nicht abgestraft werden. Auffällig in der zum Teil hitzig geführten Debatte um die Gesetzesvorlagen von Senat und Repräsentatenhaus ist auch, daß sich darin Politiker hervortun, die wohl eine Rolle im Präsidentenwahlkampf 2008 spielen werden.

Posted by bo at 19:34
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