Mittwoch, August 16, 2006

Israels verlorener Krieg

Lebanon orders army south

Israel galt bislang als die unbestrittene Vormacht im Nahen Osten, eine regionale Supermacht, deren schlagkräftige Armee technologisch durchaus auf einer Stufe mit den amerikanischen Streitkräften steht. Bis heute blieb das Land in vielen Kriegen mit den arabischen Nachbarn unbesiegt, nicht zuletzt auch, weil man die Stellung als alleinige Atommacht in der Region erfolgreich verteidigen konnte. Der jetzige Rückzug der Streitkräfte aus dem Libanon und damit die Umsetzung der UN-Resolution 1701 kann man mit Bedauern als erste militärische Niederlage Israels verstehen. Daß es der israelischen Regierung nicht gelungen ist, der Hizbullah eine entscheidende Niederlage beizufügen, hat mehrere Gründe. Zum einen ist der israelische Ministerpräsident Olmert allzu leichtfertig auf eine Provokation der Miliz eingegangen, die sich mit der Entführung zweier israelischer Soldaten in Szene setzen wollte. Ohne erkennbare Zielsetzung rechtfertigte man den Einmarsch in den Libanon zunächst damit, daß man den einsetzenden massiven Beschuß mit Raketen unterbinden wolle. Als das Trommelfeuer der Katjuscha-Raketen im Laufe der Auseinandersetzung eher zu- als abnahm, setze sich die israelische Regierung ein neues Ziel, nämlich die Hizbullah vollständig zu zerschlagen und zumindest in den Norden zurückzudrängen. Damit ist der militärisch unerfahrene Olmert in eine Falle getappt, wie auch vor ihm schon die Vereinigten Staaten im Irak. Einen Guerilla-Krieg gewinnt man eben nicht mit massiven Bombardements aus der Luft, die im Zweifelsfall für schlechte Publicity sorgen. Ohne eine realistische Zielsetzung wird man in einem solchen Abnutzungskrieg zum Gejagten. Die Hizbullah hat Taktiken eingesetzt, die an diejenigen der Aufständischem im Irak erinnern, und Israel hat mit seiner konventionellen Vorgehensweise viel Lehrgeld bezahlen müssen. So viel Verständnis man gerade auch aus europäischer Sicht für eine auch auf Gewalt setzende Eindämmungsstrategie der Israelis aufbringen möchte, eine dauerhafte Schwächung der Hizbullah als Staat im Staate wird man nur im Bündnis mit innerlibanesischen Kräften erreichen können. Gerade darauf sollten auch die Friedensbringer aus Europa im Bündnis mit den Vereinten Nationen setzen. Eine kalte Front allein wird keinen nachhaltigen Frieden bringen. Nur ein Libanon, in dem das Gewaltmonopol vom Staate ausgeht und der in demokratischer Weise regiert wird, kann zu einem echten Partner Israels heranwachsen. Dies ist schon einmal mit Ägypten, wenngleich unter anderen Voraussetzungen, gelungen, warum sollte das nicht auch mit dem nördlichen Nachbarn möglich sein.

Posted by bo at 22:04
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Mittwoch, Juli 12, 2006

Zwillingsstudien

Polish president's twin to be PM

Seit einige Tagen ist die Welt Zeuge eines ganz besonderen Experiments, an dem die Zwillingsforscher des 20. Jahrhunderts ihre Freude gehabt hätten. Die Brüder Kaczynski - eineiige Zwillinge - teilen sich künftig die beiden höchsten Staatsämter. Bruder Lech, der seit letztem Jahr das Amt des Staatspräsidenten bekleidet erhält familiäre Unterstützung durch Bruder Jaroslaw, den Vorsitzenden der Partei Recht und Gerechtigkeit, die von beiden zusammen gegründet wurde. Bislang hatten die beiden Brüder noch auf das Feigenblatt in Form des Ministerpräsidenten Marcinkiewicz vertraut, der jedoch nach Streitigkeiten über den künftigen Wirtschaftskurs geschaßt wurde, in einer im übrigen demütigenden Art und Weise. Nun jedoch folgt ihm Jaroslaw Kaczynski als Regierungschef, und viele Beobachter meinen, daß dieser Schritt von Anfang geplant gewesen sei. Nepotismus in seiner reinsten Form, könnte man meinen, doch zumindest formal genügt dieser Schritt demokratischen Gepflogenheiten, denn beide verdanken ihre Ämter ordentlichen Wahlen. Polen ist hin- und hergerissen, wie viele ehemalige Ostblockstaaten, zwischen einer Politk der liberalen marktwirtschaftlichen Öffnung und links- wie rechtspopulistischer Abgrenzung vom Rest Europas sowie marktfeindlicher Sozialstaatsromantik. Die Partei der Kaczynski-Brüder hat dabei bei ihren Wahlerfolgen vor allem die Ängste und Vorurteile der ländlichen Bevölkerung sowie der Verlierer der politischen Wende Anfang der 90er Jahre bedient. Mittlerweile regiert sie in einer Koalition mit offen nationalistischen Parteien. Auch vor Plattheiten schreckt man in Warschau längst nicht mehr zurück, wie die Posse um die Absage des Treffens Lech Kazcynskis mit Angela Merkel und Jacques Chirac beweist. Angeblich krankheitsbedingt hätte der polnische Präsident nicht kommen können, tatsächlich aber erregte dieser sich über eine Karikatur in der Berliner taz, Mohammed läßt grüßen. Für Deutschland, aber auch die Europäische Union ist die Entwicklung in Polen bedauerlich, aber nicht unumkehrbar. Noch muß man nicht auf Abstand zur polnischen Regierung gehen, aber man sollte sich in Deutschland und Frankreich bewußt sein, wo die Freunde sitzen, nämlich auf der Oppositionsbank.

Posted by bo at 22:17
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Donnerstag, Juli 06, 2006

Israel zeigt sich maßlos

Israel kills 16 in Gaza as fighting intensifies

Man kann die Empörung Israels über die Entführung eines israelischen Soldaten durch palästinensische Terroristen gut verstehen. Die vollkommen überzogene Reaktion der Regierung Olmert läßt jedoch vermuten, daß die sich täglich ausweitende Militäraktion vor allem dem Zweck dient, die unliebsame Hamas-Regierung in die Knie zu zwingen. Ein Jahr nach dem Rückzug israelischer Streitkräfte befinden sich erneut nennenswerte Truppenteile im Gaza-Streifen. Mittels verschiedener Kommandooperationen ist man tief in palästinensisches Gebiet eingedrungen und hat am Boden wie aus der Luft Regierungsgebäude, Häuser vermeintlicher Terroristen wie auch zivile Infrastruktur zerstört, so z.B. ein Elektrizitätswerk, welches große Teile des Gaza-Streifens mit Strom versorgt. Das militärische Vorgehen Israels ist vollkommen unangemessen und zielt auf eine Demütigung der Palästinenser ab, wie auch andere Maßnahmen, z.B. die verschärfte Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Palästinensern aus Ost-Jerusalem. Derweil beschäftigt sich der UN-Menschenrechtsrat mit den israelischen Strafmaßnahmen, etliche europäische Länder enthielten sich dabei der Stimme, unter ihnen auch Deutschland. Dabei sind einzelne oder auch gehäufte vorkommene Menschenrechtsverletzungen noch nicht einmal das Schlimmste in diesem Konflikt. Schwerer wiegt die Tatsache, daß Israel längst beschlossen hat, das jahrzehntealte Ringen der beiden Völker um gemeinsames Land durch eine nachhaltige Separierung zu "lösen". Der gerade aus deutscher Sicht verzweifelt wirkende Mauerbau und die hingenommene, ja mitverursachte Schwächung des gemäßigten palästinensischen Präsidenten Abbas und seiner Anhänger werden eine dauerhafte Lösung des Konflikts verhindern.

Posted by bo at 21:50
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Montag, Juni 12, 2006

Schüssel sinniert über Europa

Wolfgang Schüssel: "Die Kernbotschaft Europas finden Sie auf jedem Dorffriedhof"

Europa liegt derzeit auf der Couch. Der Selbstfindungsprozeß dauert spätestens seit der Ablehung des Verfassungsentwurfes in Frankreich und den Niederlanden an und treibt bisweilen seltsame Blüten. Obwohl offensichtlich keine Chance mehr besteht, die "Europäische Verfassung" in ihrer alten Form durchzusetzen, hat Bundeskanzlerin Merkel bis vor kurzem sogar behauptet, das tote Kind mit offensichtlich übersinnlichen Fähigkeiten wieder zum Leben erwecken zu können. Davon ist nun jedoch jedoch nicht mehr die Rede, wenn Merkel Mitte des Monats zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs fährt. Der Hoffnung, daß Teile des Verfassungsentwurfes noch gerettet werden können, hängen etliche europäische Regierungen nach, beileibe nicht nur die deutsche. Die Fragen der Verfaßtheit Europas, seine Maßstäbe, Gewaltenteilung und Handlungsfähigkeit sind durchaus wesentliche Fragen für das künftige Funktionieren des größten Staatenbundes der Welt, der sich anschickt, weiter zu wachsen. Doch sieht sich die Europäische Gemeinschaft zunehmend ideologischen Konflikten ausgesetzt, die schon die jeweiligen nationalen Regierungen unterschiedlich beantworten. Die Haltung der verschiedenen europäischen Länder zum Irak-Krieg, der Streit um die Dienstleistungsrichtlinie oder die Erweiterungsdebatte sind nur einige Beispiele. Der Grundsatzstreit um eine liberal-marktwirtschaftliche Union, die den Stürmen der Globalisierung ein modernes und leistungsfähiges Europa entgegensetzt, sowie die entgegengesetzte Vorstellung eines Sozialstaatsparadieses, welches sich vom Unbill der Welt abzukoppeln trachtet, hat gerade erst angefangen. Die Europäische Kommission sucht mehr schlecht als recht dem übernationalen Gemeinschaftsinteresse zu seinem Recht zu verhelfen, nicht ohne dabei stets von den eifersüchtig über ihre Privilegien wachenden Nationalstaaten ausgebremst zu werden. Sinnstiftend befindet der österreichische Bundeskanzler und Noch-Ratsvorsitzende Schüssel, Europa müsse wieder zur Herzensangelegenheit gemacht werden, letztlich sei die beste Begründung für ein geeintes Europa immer noch auf jedem "Dorffriedhof" zu finden. Hier irrt Herr Schüssel leider gewaltig. Zwar mag für seine Generation der Friede in Europa noch eine Errungenschaft gewesen sein, für die heutigen jungen (West-)Europäer ist er eine Selbstverständlichkeit. Vielmehr gälte es, eine Idee von Europa zu entwickeln, die um die beiden zentralen Pfeiler wirtschaftlicher Prosperität und machtpolitischer Eigenständigkeit kreist. Würde Europa tatsächlich zu jener leistungsfähigsten Volkswirtschaft des Jahres 2010 aufsteigen, wie es die vom derzeitigen Kommissionspräsidenten Barroso befürwortete Lissabon-Strategie vorgegeben hat, würde dies gleichzeitig auch viel für den europäischen Gedanken tun. Die Nationalstaaten, die auch von vielen Liberalen immer noch als natürlicher Rahmen ordnungspolitischer Reformen angesehen werden, sind doch längst mit den Herausforderungen, vor die uns Asien sowie Nordamerika stellen, überfordert. Ebenso verhält es sich mit der Steuerung der Einwanderung oder den Integrationsschwierigkeiten der Millionen bereits in Europa lebenden Immigranten. Am offensichtlichsten aber wird die Schwäche der Nationalstaaten in der Außen- und Verteidigungspolitik. Nur Europa bietet mittelfristig die Perspektive für eine selbstbewußte und interessengeleitete Außenpolitik, die uns zu einem gleichberechtigen Partner der USA und einem Gegengewicht aufstrebender und nicht immer friedlich gesonnener Mittelmächte machen kann. Ein solches Europa jedoch wird nicht mehr nach behäbigen 5-Jahres-Plänen funktionieren können und jedes halbe Jahr eine neue Agenda verkünden können, weil es sein folkloristischer Brauch der wechselnden Ratspräsidentschaft so will. Ein solches Europa muß übernational, demkokratisch und liberal verfaßt sein, soll es mit Veränderungen in der Welt Schritt halten können.

Posted by bo at 22:28
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Sonntag, Mai 07, 2006

Cheney spricht Klartext

Cheney chides Russia on democracy

Die Rede des amerikanischen Vize-Präsidenten Dick Cheney vor osteuropäischen Staats- und Regierungschefs auf einer Konferenz im litauischen Vilnius hat erhebliche diplomatische Irrationen zwischen Moskau und Washington ausgelöst. Cheney hatte der russischen Regierung in ungewohnter Offenheit bescheinigt, erhebliche Rückschritte auf dem Wege der Demokratisierung gemacht zu haben und Rußland bezichtigt, seine Energiepolitik als Machtinstrument gegen Anreinerstaaten wie auch das westliche Europa einzusetzen. Cheney sprach davon, daß "from religion and the news media, to advocacy groups and political parties - the government has unfairly and improperly restricted the rights of the people". Cheneys Rede löste in der kremltreuen Presse des Landes einen Sturm der Empörung aus, es war vielfach von der Ausrufung eines neuen Kalten Krieges die Rede. Zwar nannte Cheney niemandem beim Namen, doch die anti-demokratische und restaurative Politk des Kreml muß sehr wohl mit der Person des russischen Präsidenten Putin in Verbindung gebracht werden, der im Innern wie nach Außen versucht, das unter seinen Vorgängern verlorengegangene Terrain zurückzuerobern. Die amerikanische Regierung hat Recht, wenn sie die offensichtlichen Interessengegensätze, die es im Verhältnis des Westens zu Rußland nach wie vor gibt, zu einer deutlichen Positionsbestimmung nutzt. Ob die im Januar am Beispiel der Ukraine exekutierte erpresserische Energiepolitik, die blockierende Haltung Rußlands im Atomstreit mit dem Iran oder die offene Unterstützung der palästinensischen Hamas - Moskau besetzt in internationalen Konflikten zielstrebig stets die freigewordene anti-westliche Position. Im Gegensatz zu einer unsäglichen Sowohl-West-Als-Auch-Ost-Außenpolitik der deutschen Regierung, spricht man in Washington erfreulicherweise nun Klartext und vergeudet auch keine Zeit, die zunehmend selbstbewußt auftretenden Russen einzuhegen. Im weiteren Verlauf seiner Europareise sicherte Cheney den Ländern Albanien, Kroatien und Mazedonien die amerikanische Unterstützung für einen Beitritt zu EU und NATO zu. Dieser Strategie der Stabilisierung Osteuropas sollte sich auch Deutschland verpflichtet fühlen, denn die hierzulande verfolgte Politik, direkt mäßigenden Einfluß auf das sich zunehmend autoritär gebärdende Rußland nehmen zu können, erweist sich schon heute als pure Illusion.

Posted by bo at 18:48
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Dienstag, Mai 02, 2006

Energiefrage

Renewable energy 'won't plug gap'

Wie hierzulande, so gewinnt auch in Großbritannien die Debatte um nukleare Energiegewinnung wieder an Fahrt. Die schwindenden Ölvorkommen in der Nordsee, das zunehmende Problem von Treibhausgasen sowie natürlich vor allem die in letzter Zeit so stark gestiegenen Ölpreise haben dazu geführt, daß die britische Regierung über die Energiefrage wieder neu nachdenkt. Premier Tony Blair hat zu diesem Zwecke im letzten Jahr den Anstoß für einen Bericht gegeben, dessen Veröffentlichung im Juni ansteht und von dem Beobachter erwarten, daß er die Karten im Energiepoker wieder neu verteilen könnte - zugunsten der Kernenergie. Viele der heute bestehenden Atommeiler haben - wie in Deutschland - begrenzte Laufzeiten. Ein vollständiger und vor allem kostengünstiger Ersatz mit Windenergie oder anderen erneuerbaren Energiequellen erscheint nicht realistisch. Die Kostenfrage aber wird in London kontrovers diskutiert, schließlich beteiligt sich der Steuerzahler für gewöhnlich kräftig an der Beseitigung des atomaren Abfalls, so daß die wahren Kosten von Atomkraftwerken nur schwer zu bestimmen sind. Die Gesamtkosten der Kernenergie hängen also auch zu einem erheblichen Maße von den politischen Rahmenbedingungen ab - und diese waren in energiepolitischer Hinsicht in Großbritannien in den letzten 25 Jahren wechselhaft. Anders als in Deutschland aber, wird im Vereinigten Königreich die Kostenfrage mit wirtschaftspolitischem Sachverstand geführt und ist auch nicht in vergleichbarem Maße ideologisch aufgeheizt. Vertreter von Investmentbanken weisen daraufhin, daß es sehr wohl Interesse an der Finanzierung und Risikoübernahme des Baus neuer Atomkraftwerke gebe, sofern der Staat die Genehmigungsverfahren beschleunige und eine verläßliche Regelung für die Entsorgung schaffe. Interessanterweise engagiert sich ausgerechnet das deutsche Energieunternehmen E.ON in Großbritannien und hat großes Interesse am Bau von Kraftwerken signalisiert. Tony Blair wird nachgesagt, er werde sich im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des von ihm angestoßenen Reports für einen zweiten Frühling der Kernenergie stark machen. Er dürfte dabei auf einer anschwellenden Welle öffentlicher Zustimmung reiten, denn mittlerweile sprechen sich laut Umfragen schon wieder mehr als 40 Prozent aller Briten für den Bau neuer Kraftwerke aus.

Posted by bo at 23:32
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Mittwoch, April 19, 2006

Sieg für Prodi

Italy confirms Prodi poll victory

Als erste Nachkriegsregierung Italiens hat Berlusconis Regierung eine volle Amtszeit überstanden. Nicht vorzeitig, sondern endgültig ist ihr Ende nun von einem Gericht bestätigt worden, nachdem das übermäßig komplizierte Wahlsystem einen stimmenmäßig knappen, in Parlamentssitzen jedoch deutlichen Sieg der Mitte-Links-Allianz Romano Prodis beschert hatte. Als Berlusconis im Mai 2001 gewählte Mitte-Rechts-Koalition einen Sieg in beiden Parlamentskammern errang, da jubilierte die Wirtschaft in Italien. Der Medien-Tycoon Berlusconi, selbst Besitzer der drei wichtigsten privaten Fernsehkanäle, hatte niedrigere Steuern, einen Abbau der Staatsverschuldung und Wirtschaftswachstum versprochen. Italiens durchschnittliches Wirtschaftswachstum in den letzten 15 Jahren ist das niedrigste in der gesamten EU, seine von kleinen Familienbetrieben geprägt Wirtschaft steht unter erhöhtem Globalisierungsdruck. Mit seiner rekordverdächtig niedrigen Geburtenrate steht das Land vor den gleichen Problemen wie auch Deutschland, eine immer älter werdende Bevölkerung, hohe Arbeitslosigkeit und ein fetter Sozialstaat sind die Markenzeichen. Dabei kann Italien sich nicht wie der große Nachbar im Norden auf eine starke Exportindustrie verlassen. Dies beweist, daß aus Berlusconis Versprechungen von marktwirtschaftlichen Reformen, Privatisierungen und einer allgemeinen Deregulierung nicht viel geworden ist. Unter anderen lag dies daran, daß der Ministerpräsident häufig mit juristischen Scharmützeln um seine eigene Person beschäftigt war. Angreifbar war er vor allem als Medienmonopolist, dem als Regierungschef nun sogar noch die staatliche RAI und damit rund 90 Prozent des Fernsehmarktes "gehörten", aber auch wegen diverser Vorgänge aus seiner Zeit vor 2001. Mehr als ungeschickt war auch ein Gesetzesvorhaben, welches völlige Immunität für ihn selbst und einige seiner engsten Vertrauten vorsah, ein Versuch, der schließlich vom Verfassungsgericht vereitelt wurde. Seine nun gezeigte Weigerung (die wie dunkles Echo der Schröderschen Wahlnachtsphantasien anmutet), den knappen Wahlausgang als Niederlage anzunehmen, zeigt zudem sein zwiespältiges Verhältnis zur Demokratie. Ein wesentlicher Grund für Berlusconis bescheidenes Wirken im Sinne seines eigenen Programmes aber liegt in der für Italien typischen Regierungskonstellation, einem Bündnis vieler, oft widerstreitender Parteien. So hatte sich Berlusconis Partei Forza Italia unter anderem mit der Lega Nord, der Alleanza Nazionale und den Christdemokraten zu arrangieren. Vor ähnlichen Problemen wird nun auch Prodi stehen, er führt eine Koalition von nicht weniger als 9 Parteien an. Der nur wenig jüngere ehemalige EU-Komissionspräsident, der von 1996 bis 1998 bereits schon einmal Ministerpräsident von Italien war, verkörpt allerdings auch programmatisch wenig Hoffnung für das am Rande einer Rezession stehende Land.

Posted by bo at 22:27
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Montag, April 10, 2006

Atombomben gegen Atombombe

Bush dismisses 'Iran attack plan'

Auch wenn die amerikanische Regierung und ihr Präsident Bush die Berichte über Pläne des Pentagons für einen auch mit Nuklearwaffen geführten Schlag gegen die iranischen Atomanlagen vehement zurückweisen, ganz aus der Luft gegriffen sind sie mit Sicherheit nicht. Der im Magazin The New Yorker erschienene und von der Publizisten-Ikone Seymor Hersh unter Angabe vieler ungenannter Quellen aus Regierung und Geheimdiensten verfaßte Artikel ist zwar tendenziös geschrieben und verfolgt klar das Ziel, eine Anti-Kriegs-Stimmung in den USA zu befördern, doch wäre die westliche Führungsmacht schlecht beraten, würde sie sich nicht für alle Eventualitäten rüsten. Dazu gehört nun einmal auch, das so gefährliche iranische Atomprogramm mit militärischen Mitteln auszuschalten. Daß dabei, wie von Hersh behauptet, auch der Einsatz taktischer Nuklearwaffen von den Planern erwogen wird, erscheint logisch, denn mit konventionellen Bomben sind einige der unterirdisch gebauten iranischen Anlagen nicht auszuschalten. Hersh, der schon über das Massaker von My Lai im Jahre 1968 berichtete und 2004 den Skandal um Abu Ghraib aufdeckte, versucht in seinem Artikel, die militärischen Planungen im Verteidigungsministerium mit wohlbekannten politischen Forderungen nach einem Regimewechsel im Iran zu verquicken. Dafür jedoch gibt es wenig Anhaltspunkte, und die amerikanische Regierung wäre schlecht beraten, um Zustimmung für ein solch aussichtsloses Vorhaben bei ihrer Bevölkerung zu werben. Ein Sturz der iranischen Regierung wäre keine Lösung für das Problem und würde auch nicht automatisch einem begrenzten Militärschlag folgen. Das iranische Machtgefüge ist derzeit schon undurchsichtig genug und kennt eine Gewaltenteilung ganz eigener Art. Der Westen sollte sich keinerlei Hoffnungen hingeben, ähnliche Weltverbesserungsideen wie im Irak zur Grundlage seiner Anti-Iran-Politk machen zu können. Hersh zufolge werde der iranische Staatspräsident Ahmadineschad in Washington längst schon als der neue Adolf Hitler angesehen. Und obwohl dieser historische Vergleich gar nicht einmal an den Haaren herbeigezogen wirkt, sollten solche Außerungen und Stimmungen in der amerikanischen Regierung nicht die Sicht auf die Realitäten vernebeln. Dazu gehört es vor allem, daß trotz aller militärischer Planspiele im Pentagon, das offizielle amerikanische Regierungshandeln nach wie vor auf eine diplomatische Lösung ausgerichtet ist. Das Bild, das Hersh hier zeichnet, leidet in diesem Punkt leider an journalistischem Größenwahn, der darauf abzielt, bestimmenden Einfluß auf die Willensbildung in der amerikanischen Bevölkerung nehmen zu können. George Bush fiel es daher heute leicht, die Kernaussage, daß die Regierung sich längst den diplomatischen Mitteln ab- und den militärischen Lösungen zugewandt habe, als wilde Spekulation zurückzuweisen.

Posted by bo at 23:19
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Freitag, April 07, 2006

Immigration Wars

Senate delays US immigration deal

Immigration Wars tönt es martialisch, wenn in amerikanischen Nachrichtensendungen über die vor allem in Kalifornien stattfindenden Großdemonstrationen von Einwanderern berichtet wird. Hunderttausende Einwanderer oder ihre Kinder gingen in verschiedenen Großstädten in den letzten Wochen auf die Straße, um für ihr Bleiberecht und eine großzügige Immigrationspolitik in den Vereinigten Staaten zu demonstrieren. Die Proteste richten sich gegen ein im letzten Jahr vom Repräsentatenhaus verabschiedetes Gesetz, welches die Kriminalisierung von illegalen Einwanderern sowie ein verschärftes Grenzregime an der amerikanisch-mexikanischen Grenze vorsieht. Diesem ersten Akt folgte der zweite, ein in die entgegengesetzte Richtung arbeitender Gesetzentwurf, der dem Senat heute zur Abstimmung vorlag. Dieser sieht ein Bleiberecht für Immigranten vor, die sich seit mindestens 5 Jahren in den USA aufhalten sowie die Genehmigung von temporären Arbeitsvisa für solche, die bereit sind, sich zu registrieren, aber erst zwei bis fünf Jahre in den USA leben. Das überparteiliche Projekt ist heute jedoch an prozeduralen Fragen gescheitert, was auch als persönliche Schlappe für den amerikanischen Präsidenten gelten darf. Dieser hatte sich, in dem Bemühen, seine wichtigsten Unterstützergruppen - die Sozialkonservativen und die Wirtschaft - mit einem Kompromiß in die richtige Richtung zu ziehen, für das liberale Senatsgesetz stark gemacht. Der Präsident weiß sich in Übereinstimmung mit einer Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung, wenn er sich zwar gegen die illegale Einwanderung ausspricht, zugleich aber die Bedeutung von Zuwandereren für die amerikanische Ökonomie anerkennt und somit populistischen Ausländer-Raus-Rufen nicht nachgibt. Allerdings hat George Bush auch stets versucht, den Eindruck zu vermeiden, er würde sich für eine Amnestie für die auf ca. 11 Millionen geschätzte Zahl derzeit in den USA lebender illegaler Einwanderer aussprechen. Das müssen der Präsident, aber auch viele seiner republikanischen Parteigenossen, tunlichst vermeiden, wollen sie bei den in diesem Jahr anstehenden Zwischenwahlen für den Kongreß nicht abgestraft werden. Auffällig in der zum Teil hitzig geführten Debatte um die Gesetzesvorlagen von Senat und Repräsentatenhaus ist auch, daß sich darin Politiker hervortun, die wohl eine Rolle im Präsidentenwahlkampf 2008 spielen werden.

Posted by bo at 19:34
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Samstag, März 18, 2006

Frankreich kommt nicht zur Ruhe

Job protests grip French cities

Kopfschüttelnd mag mancher die Aufruhr in Frankreich Kenntnis nehmen, die sich, nur wenige Monate nach den gewälttätigen Ausschreitungen von Jugendlichen aus den Einwandererghettos, ein Gesetz zum Anlaß genommen hat, welches doch gerade die Chancen dieser verlorenen Generation verbessern soll. Dieses mal sind es jedoch Studenten und Gymnasiasten, die ein noch nicht einmal rechtskräftiges Gesetz hinwegputschen wollen, welches erleichterte Kündigungsbestimmungen für junge Arbeitnehmer bis 26 Jahre vorsieht und welches, nach übereinstimmender Auffassung der Wirtschaft, eine wesentliche Einstellungshürde beseitigen würde, die bislang eine der Ursachen für die beschämend hohe Jugendarbeitslosigkeit von über 20 Prozent darstellt. Dem Vorwurf mangelnder Solidarität mit ihren schlechter ausgebildeten Vorstadtbrüdern würden sich die hysterisch agitierenden Sorbonne-Studenten vermutlich nur ungern aussetzen, und so bemühen sie viel klassenkämpferisches Vokabular, das auf die allgemeine Schwächung der rechtsbürgerlichen Regierung abzielt. Unterstützt werden sie dabei von den Gewerkschaften und sämtlichen linken Parteien. Der Vorsitzende der Sozialisten, Francois Hollande, sympathisiert unverhohlen mit den Protestierern und hat dabei die im nächsten Jahr anstehenden Präsidenten- und Parlamentswahlen fest im Blick. Noch standhaft zeigt sich Premier Dominique de Villepin, der verspricht, das Gesetz gegen alle Widerstände durchsetzen zu wollen. Weniger zuversichtlich hingegen geben sich seine Landsleute, deren Zustimmung zu der Neuregelung den Umfragen zufolge stark gesunken ist, seitdem der Druck der Straße zugenommen hat. Präsident Chirac hat daher auch Kompromißbereitschaft seiner Regierung erkennen lassen und appelliert in hilfloser Senilität an seine Bürger, ihrem Protest friedlich Ausdruck zu verleihen. Bleibt festzuhalten, daß die französische Regierung in ihrem Reformeifer weite Teile der fanzösischen Bevölkerung hinter sich gelassen hat. Entfernt erinnern die Demonstrationen in Paris daher an die Hartz-IV-Proteste zu Zeiten von Rot-Grün hierzulande. In ihrer politischen Einsichtsfähigkeit unterscheiden sich Franzosen und Deutsche also wenig, in ihrem Temperament allerdings sehr.

Posted by bo at 18:51
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Mittwoch, März 15, 2006

Wahlkampf auf israelisch

Palestinians protest at jail raid

Wenige Tage vor den für den 28. März angesetzten Wahlen in Israel, nimmt die Nervosität im israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt zu. Vermutlich um seinen - im Vergleich zur Helden-Biographie des schwerkranken Ariel Scharon - allzu zivilen und damit dem Verdacht der Schwäche ausgesetzten politischen Werdegang einen neuen Akzent zu verleihen, hat der geschäftsführende Ministerpräsident Ehud Olmert eine Kommandooperation gegen ein palästinensisches Gefängnis in Jericho angeordnet. Die mit schweren Waffen ausgeführte Militäraktion diente dazu, den dort einsitzenden Führer der linksgerichteten Volksfront für die Befreiung Palästinas (PLVP), Ahmed Saadat, vor ein israelisches Gericht zu stellen, da ihm die Beteiligung an der Ermordung des israelischen Tourismusministers im Jahre 2001 zur Last gelegt wird. Die Empörung der Palästinenser brach sich umgehend in gewalttätigen Ausschreitungen, Entführungen westlicher Journalisten und Mitarbeitern von Hilfsorganisation sowie Angriffen auf europäische Einrichtungen Bahn. Ob sich Olmert mit einer derart an der Zurschaustellung vermeintlicher Entschluß- und Durchsetzungsfähigkeit orientierten "Politik" erfolgreich gegen fallende Umfragewerte stemmen kann, darf bezweifelt werden. Derweil sind die mittelfristigen Folgerungen der palästinensischen Wahl, bei der die Hamas einen deutlichen Sieg einfuhr, noch offen, solange deren Haltung zum Friedensprozeß ungeklärt ist und ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ausbleibt. In dieser prekären Lage zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen, birgt die Gefahr, daß das innerpalästinensische Pendel erneut in Richtung einer radikalen Intifada ausschlägt und Israel auf diese Weise die Position gemäßigter Kräfte, wie die des einsam an der Spitze stehenden Präsidenten Abbas, endgültig schwächt. Die Hamas unterdessen, nicht faul, probt den Schulterschluß mit der erstarkten libanesischen Hizbullah und einer von Syrien bis zum Iran reichenden Achse militanter Schiiten. Der Nahe Osten bleibt bis auf weiteres ein Pulverfaß, und der Westen kann derzeit nur hilflos zusehen. Die Hoffnung bleibt, daß nach den israelischen Wahlen ein Neuanfang gelingt, der nicht allein auf die vollständige Separation der beiden Völker setzt.

Posted by bo at 23:28
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Donnerstag, März 02, 2006

Die größten Demokratien der Welt: Indien und die USA

US and India seal nuclear accord

Für die Vereinigten Staaten ist Indien in vielfacher Hinsicht ein strategisch wichtiger Partner. Die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt schickt sich an, ähnlich wie der autokratisch regierte Nachbar China, zu einer prosperierenden Großmacht in Asien aufzusteigen. Das Wirtschafstwachstum kann zwar mit demjenigen Chinas noch nicht mithalten, aber im Allgemeinen werden Indien beste Chancen eingeräumt, in den nächsten Jahrzehnten nachhaltig vom Rückenwind der Globalisierung zu profitieren. Die liegt vor allem auch daran, daß Indiens demographische Situation deutlich dynamischer erscheint als etwa diejenige der Volksrepublik, deren Ein-Kind-Politik dem Land schon bald ähnliche Schwierigkeiten bescheren wird, wie sie sonst nur die entwickelten Wohlstandsgesellschaften des westlichen Europa kennen. Während China sich heute vor allem in der Industrieproduktion weltweite Marktanteile erkämpft, punktet Indien mit seinem Angebot an Dienstleistungen, vor allem der Informationstechnologie. In diesen personalintensiven Branchen fällt es den Indern aufgrund der großen Zahl hochqualifizierter Universitätsabsolventen leicht, weltweit konkurrenfähig zu sein, nicht zuletzt auch aufgrund ihrer englischen Sprachkenntnisse. Das heute mit einem Abkommen zur Kooperation bei der Nutzung ziviler Nukleartechnologie belohnte Interesse der USA an dem Subkontinent geht allerdings über die Fragen wirtschaftlicher Kooperation deutlich hinaus. Washington vollzieht damit unter Präsident Bush eine Kehrtwende von einer Politik der Sanktionen gegen Indiens Nuklearpolitik hin zu einer special relationship, bei der Indien quasi durch die Hintertür in den Kreis der Atommächte aufgenommen werden soll. Diese Politik stößt nicht überall auf Zustimmung, insbesondere auch im amerikanischen Kongreß, der das Abkommen noch zu ratifizieren hat. Indien gilt seit 1998 als Atommacht und betreibt ein militärisches Nuklearprogramm, ohne bislang dem Nichtverbreitungsvertrag (NPT) beigetreten zu sein. Die Politik der Bush-Regierung zeugt also nicht von großer Prinzipientreue, gerade auch angesichts der Haltung, die der Westen gegenüber den Ambitionen des Iran eingenommen hat. Allerdings muß man für die amerikanische Realpolitik auch ein gewisses Verständnis aufbringen, dient sie doch offensichtlich dazu, die künftige Supermacht China einzudämmen und ihr eine dem Westen nahestehende Regionalmacht gegenüberzustellen.

Posted by bo at 21:56
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Samstag, Februar 18, 2006

Viele rote Linien

Europe increases pressure on Iran

Die Reaktionen der europäischen Staats- und Regierungschefs auf die Wiederaufnahme der Uran-Anreicherung in den iranischen Atomanlagen von Natan und Isfahan lassen an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. In scharfen Worten wies der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy die iranische Propaganda zurück, das Atomprogramm würde lediglich zivilen Zwecken dienen. Er zeigte sich davon überzeugt, daß Iran offensichtlich eine militärische Verwendung für das waffentaugliche Uran anstrebe und nicht, wie behauptet, dieses zur Energieerzeugung einsetzen wolle. Etwas mehr diplomatische Zurückhaltung übten Angela Merkel und Tony Blair auf ihrem gestrigen Treffen in Berlin, wenngleich sie die erneute Provokation Teherans ebenso eindeutig verurteilten. Bundeskanzlerin Merkel sprach abermals davon, daß der Iran die rote Linie überschritten hätte und meinte damit wohl (noch) nicht die Grenze zur Lösung der Krise mit diplomatischen Mitteln. Doch kann kein Zweifel daran bestehen, daß die drei europäischen Mächte weiterhin eng zusammenstehen und die Gefahr ernst nehmen, die dem Nahen Osten wie auch Europa von einem mit Massenvernichtungswaffen ausgerüsteten Mullah-Regime droht. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz vor einigen Wochen hat Merkel bereits den richtigen historischen Vergleich zum Vorgehen Deutschlands in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gezogen und damit auf die Gefahren einer leichtsinnigen Appeasement-Politik hingewiesen. Doch nicht nur der Blick in die Geschichte, sondern auch gesunder Menschenverstand lehren, daß die Eindämmung des Iran auf eine wirksame Abschreckungspolitik angewiesen ist, die selbstverständlich auch einen Militärschlag als ultima ratio vorsehen sollte. Das Gerede in den Reihen des sozialdemokratischen Koalitionspartners der deutschen Kanzlerin, daß solcherart Drohkulisse vom Tisch gehöre, ist hingegen naiv und gefährlich. Weder ist der Westen in der Gefahr, sich in einen Kriegsrausch zu reden, noch ist damit zu rechnen, deutliche Worte wie die Douste-Blazys könnten einer weiteren Radikalisierung des Iran Vorschub leisten. Bislang hat der Iran nur gezeigt, daß er gewillt ist, unter allen Umständen an seiner gefährlichen Strategie festzuhalten und kurzfristge Kompromißbereitschaft nur dann zu zeigen, sofern sie zur Spaltung der Staatengemeinschaft beiträgt. Ob dieses Vorgehen auch weiterhin Erfolg haben wird, könnte sich bereits in einigen Wochen zeigen, wenn sich der UN-Sicherheitsrat mit der iranischen Krise beschäftigen wird. Eine einige und entschlossene transatlantische Gemeinschaft wird dann den ihre eigenen ökonomischen wie strategischen Interessen verfolgenden ständigen Mitgliedern Rußland und China gegenübersitzen.

Posted by bo at 20:52
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Montag, Februar 06, 2006

Kampf der Kulturen

Muslim cartoon fury claims lives

Als Samual P. Huntington 1993 seinen Aufsatz über einen Clash of Civilizations in Foreign Affairs veröffentlichte, da entwickelt sich die ein oder andere fruchtbare, jedoch zumeist auf die akademische Welt beschränkte Diskussion seiner Thesen. Den meisten Zeitgenossen fehlte das Vorstellungsvermögen, sich wenige Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges eine Welt auszumalen, in der nicht länger die großen Ideologien im Wettstreit stehen, sondern die Konfliktlinien entlang archaisch anmutender Gräben aus Religion und Kultur verlaufen sollten. Die Kriege und der Völkermord in Jugoslawien vermittelten jedoch bald schon einen ersten Vorgeschmack auf das Kommende, das schon einmal Geschichte war. Huntington zeichnete ein an Deutlichkeit nicht zu überbietendes Bild von der Zivilisationsgrenze zwischen westlichem Christentum, Islam und orthodoxem Christentum, die seit Jahrhunderten an der Nahtstelle so vieler Auseinandersetzungen und Kriege in Europa liegen. Er prophezeite für das 21. Jahrhundert einen auch mit kriegerischen Mitteln ausgetragenen Antagonismus zwischen der westlichen Zivilisation und der konfuzianisch-arabischen Welt. Der Aufstieg Chinas ist längst nicht mehr aufzuhalten, so daß in nicht all zu ferner Zukunft das Dasein Amerikas als einzig verbliebener Supermacht ein Ende haben wird. Auch die Vorstellung, daß Religion, als prägendstes Element der Zugehörigkeit zu einer Kultur, das Fundament künftiger Zivilisationskonflikte bilden werde, hat sich 13 Jahre nach dem Erscheinen von Huntingtons wegweisendem Aufsatz in - wenn auch in Form eines weltweit ausgetragenen Guerilla-Krieges des Westens mit einem radikalen politischen Islam - bewahrheitet. Zu den Merkmalen eines Kampfes der Kulturen gehört es, daß der Einzelne nicht länger - wie noch zu Zeiten des Kalten Krieges - die Wahl hat, welcher Ideologie er sich anschließt. Die Zugehörigkeit zu einer Kultur kann man nicht frei wählen, und daher erscheint es auch gar nicht verwunderlich, wenn nun auch viele gemäßigte Muslime ihr Verständnis für eine bislang von wenigen Eiferern, die auch in der einen oder anderen Regierung eines arabischen Landes zu vermuten sind, angeheizte Pogromstimmung gegen eine kleine dänische Zeitung und den Westen als Ganzes zum Ausdruck bringen. Den Europäern und Nordamerikanern wird wieder einmal schmerzlich vor Augen geführt, daß ihre Werte von Freiheit, Gleichheit, der universalen Geltung von Menschenrechten sowie der Trennung von Kirche und Staat in den vielen Teilen der Welt nicht nur unbekannt, sondern oft auch nicht gewollt sind. Das kurze Zeitfenster der Dominanz westlicher-demokratischer Zivilisation könnte schon bald dem Ende entgegengehen, wenn einzelne arabische oder asiatische Länder in der Moderne (die bisweilen als Atomwaffe, manchmal als Computerchip daherkommt) angelangt sind, ohne zugleich das westliche Wertesystem zu übernehmen. Dann wird es sich nicht mehr nur um eine sich an religiösen Symbolen entzündende Massenhysterie handeln, sondern um ganz reale Machtkonflikte, die ihre Wirkmächtigkeit jedoch aus ebenjenen kulturellen Unterschieden ableiten, die wir so gerne ignorieren.

Posted by bo at 21:53
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Sonntag, Januar 29, 2006

Das Ende der Ära Greenspan

Abschied von Mr. Dollar

In wenigen Tagen wird Alan Greenspan, US-Notenbankchef und damit einer der einflußreichsten Männer der amerikanischen Wirtschaft, nach mehr als 18 Jahren an der Spitze der Fed in den Ruhestand gehen. In den Vereinigten Staaten genießt der fast Achtzigjährige Kultstatus, beinahe wie ein Popstar verehren ihn seine Anhänger. Ihm gebührt das Verdienst, die amerikanische Wirtschaft durch die Phase eines beispiellosen Aufschwungs begleitet zu haben, die nur von zwei kleineren Rezessionen unterbrochen wurde. Der Beginn seiner Regentschaft stand jedoch zunächst unter keinem guten Stern, wurde er doch vom Schwarzen Montag im Oktober 1987 überschattet, an dem der Dow Jones 22 Prozent an einem Tag verlor. Doch Greenspan verstand es, das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen, wie überhaupt seine Fähigkeit, die Psyche der Finanzmärkte zu lesen und zu beeinflussen, seinesgleichen unter den Zentralbankern der Welt suchte. Doch Greenspan zog auch Kritik auf sich, so z.B. kreidete man es ihm an, daß er das Platzen der New Economy-Blase nicht verhindert, ja den Hype um aufstrebende IT- und Internet-Firmen sogar mit herbeigeredet hätte. Und auch zum Ende seiner Amtzeit sehen Beobachter Anzeichen dafür, daß Greenspan die Risiken der Immobilien-Spekulation in den USA ignoriere und seine Zinspolitik einzig auf ein Inflationsziel ausgerichtet sei. Nun kann es der Chef einer Zentralbank wohl niemals allen recht machen, aber in der Tat steigen mit dem Wechsel von Greenspan zu seinem Nachfolger Ben Bernanke die Chancen für eine krisenhafte Entwicklung der US-Konjunktur. Schon längst lebt Amerika über seine Verhältnisse, wie das hohe Handeslbilanzdefizit, das Loch im Haushalt und die grassierende Verschuldung der Privathaushalte zeigen. Wenn die Immobilien-Blase patzt und die Amerikaner aus ihrem Traum von einem Leben auf Pump erwachen, dann dürfte der ein oder andere an die Zeit mit Alan Greenspan denken, der doch an dieser Entwicklung nicht unschuldig war.

Posted by bo at 23:48
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Samstag, Januar 07, 2006

Das Ende der Ära Scharon

Sharon undergoes fresh brain scan

Fast genau 4 Jahre ist Ariel Scharon nun Ministerpräsident von Israel, und er hat in dieser Zeit mit seiner konsequenten Politik des Rückzugs aus dem Gaza-Streifen viele seiner jahrzehntelangen Kritiker überrascht. Er, der als Kommandeur und General für eine robuste Kriegs- und Siedlungspolitik stand, machte plötzlich die Ankündigung eines einseitigen Rückzugs Israels aus einem Teil der besetzten Gebiete wahr. Dafür zahlte Scharon den Preis der innerparteilichen Revolte, die vor allem vom früheren Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu getragen wurde und die den Likud Ende des letzten Jahres dann endgültig vor die Zerreißprobe stellte. Kurzerhand entschloß sich Scharon vor wenigen Wochen, eine neue Mitte-Rechts-Partei, genannt Kadima, zu gründen und es gelang ihm, prominente Politiker aus seiner eigenen Partei wie auch der linken Arbeiterpartei für das Vorhaben zu gewinnen, darunter Schimon Peres, den Friedensnobelpreisträger und ehemaligen Ministerpräsidenten. Die Aussichten der neuen Partei für die Ende März stattfindenden Parlamentswahlen schien bis vor kurzem rosig zu sein, doch seit Scharon im Koma liegt, könnte sich das Kräfteverhältnis in der israelischen Politik erneut verändern. Es erscheint möglich, daß Kadima zerfällt, bevor sie überhaupt richtig gegründet werden konnte. Von Peres hört man bereits, daß er eventuell doch in der Arbeiterpartei verbleiben könnte, die sich von Scharons Abtritt einen Stimmungsaufschwung für ihr Lager erhofft. Und der Likud wird alles daran setzen, seine verlorenen Söhne und Töchter zurückzugewinnen, jetzt, da der unbequeme Patriarch aus dem Spiel ist. Dies alles passiert zu einer Zeit, in der auch in den unter Verwaltung der palästinensichen Autonomiebehörde stehenden Gebieten im Westjordanland und Gazastreifen Parlamentswahlen anstehen. Den Wahlen am 25. Januar geht ein Machtkampf innerhalb der regierenden Fatah-Partei voraus, die nun in zwei Listen antritt: die dem palästinensichen Präsidenten Mahmud Abbas loyalen Kandidaten sowie eine Al-Mustaqbal (Zukunft) genannte Liste junger innerparteilicher Abbas-Kritiker. Diese Spaltung muß die Wahlchancen der Fatah nicht einmal schmälern, im Gegenteil, sie könnte den Stimmenanteil gegenüber der oppositionellen Hamas sogar leicht erhöhen, da die Wähler nun "ihre" Fatah-Kandidaten auswählen können. Sollte die Hamas jedoch, wie ihr das schon auf lokaler Ebene vielfach gelungen ist, einen erheblichen Teil der Parlamentssitze erringen, so wird es immer unwahrscheinlicher, daß sie, die schon jetzt ein Staat im Staate ist, ihren militanten Arm der Autonomiebehörde unterstellt. So gehen Israel und Palästina in den nächsten Wochen einer ungewissen Zukunft entgegen, doch der Abschied der alten starken Männer birgt, wie schon im Falle Arafats, nicht immer nur Risiken.

Posted by bo at 15:22
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Sonntag, Januar 01, 2006

China auf dem Vormarsch

China's economy overtakes Britain's

Nach einigen längst überfälligen statistischen Korrekturen veröffentlichte die chinesische Regierung kürzlich neue Zahlen zur Höhe des Bruttosozialproduktes. Demnach hat China im Jahre 2004 Italien als die sechstgrößte Wirtschaftsnation der Welt abgelöst und es spricht viel dafür, daß das bevölkerungsreichste Land der Welt im Jahre 2005 sowohl Frankreich als auch Großbritannien hinter sich gelassen hat. Neben dem anhaltend starken Wirtschaftswachstum ist dafür auch ein erheblich nach oben korrigierter Anteil der Privatwirtschaft auf rund 70 Prozent verantwortlich. Vor kurzem überholte China sogar die USA als weltgrößte Exportnation für IT-Güter, wenngleich noch überwiegend einfache Assemblierungsarbeiten erledigt werden, doch Japans Aufstieg im 20. Jahrhundert begann ganz ähnlich. Diese beeindruckenden Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß das kommunistisch-kapitalistische China immer noch ein armes Land ist, dessen Wachstumsschmerzen von einer alternden Bevölkerung über große Umweltprobleme bis hin zu einem ineffizienten öffentlichen Sektor reichen und damit einiges gemein haben mit den im zurückfallenden Europa bekannten Problemen. Dennoch gehört China schon jetzt zu den größten Wirtschaftsnationen der Welt und wird bei gleichbleibenden Wachstumsraten und fortgesetzten Reformen seinen Aufstieg fortsetzen. Besonders die Vereinigten Staaten und regionale Konkurrenten wie Indien und Japan haben dafür ein besonderes Bewußtsein, während Europa die Dynamik der damit einhergehenden Veränderungen für die weltweite wirtschafts- und sicherheitspolitische Lage achselzuckend hinzunehmen scheint. Besonders der Konflikt um Taiwan passt so gar nicht in das Bild vom friedlichen Riesen. Seine Neujahrsansprache verband der chinesische Staatspräsident Hu mit erneuten Drohungen gegen die Insel, und sein taiwanesischer Kollege antwortete prompt mit der Ankündigung eines milliardenschweren Rüstungsprogramms. Trotz massiver wirtschaftlicher Verflechtungen Taiwans oder seiner Schutzmacht Amerika mit China sollte man sich nicht der Hoffnung hingeben, daß solcherart ökonomische Interessen kriegerische Auseinandersetzungen langfristig verhindern könnten. Auf seinem Wachstumspfad hat China noch vielfältige innenpolitische Krisen zu überwinden, doch schon jetzt sind die sozialen und ökologischen Verwerfungen erheblich. Die außenpolitische Radikalisierung war schon immer das probate Mittel, den auf die Probe gestellten inneren Zusammenhalt einer Nation zu erneuern. Europa sollte, wie auch die Vereinigten Staaten, seine wirtschaftlichen Interessen in China offensiv wahrnehmen. Käme China jedoch auf die Idee, das prekäre machtpolitische Gleichgewicht in Asien zu seinen Gunsten beeinflußen zu wollen, so muß der Westen zusammen mit Japan und Indien zu einer Eindämmung der chinesischen Großmachtsambitionen in der Lage sein. Diese Aufgabe werden die Vereinigten Staaten nicht mehr aus eigener Kraft schultern können.

Posted by bo at 23:21
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Sonntag, Dezember 18, 2005

Iran wird zum Risiko

Iran tells West to be tolerant of Holocaust views

Wo immer die echten oder vermeintlichen Holocaust-Leugner in der Welt oder zu Hause in Erscheinung treten, eine empörte Reaktion der deutschen Politik ist ihnen sicher. Die Worte des iranischen Staatspräsidenten Ahmadineschad, der den von Deutschen begangenen Genozid an den Juden während des zweiten Weltkriegs rundweg in Abrede stellt und zynisch einen "Umzug" des israelischen Staates auf deutsches Territorium oder nach Alaska fordert, sind in der Tat starker Tobak. Aber sollten uns diese Worte aus dem Munde eines Volkstribunen und Einpeitschers des iranischen Regimes, das seit seiner Gründung von der Feindschaft zum israelischen Staat lebt, ernsthaft in Erstaunen versetzen? Wer hinhören wollte, der konnte antijüdische und antiisraelische Hetze seit dem Sturz des Schahs vernehmen, und was die jüngste Propaganda davon lediglich unterscheidet, ist, daß diesmal jegliche diplomatische Hüllen gefallen sind und nicht nur der Mob auf der Straße, sondern einer der höchsten Vertreter des iranischen Staates als Brandstifter auftritt. Der Westen, der mit Teheran in Sachen Atomprogramm längst über Kreuz liegt, hat seit dem Amtsantritt Ahmadineschads einen Grund mehr, die weitere Radikalisierung des Iran mit sorgenvoller Miene zu betrachten. Was sich im Iran derzeit zusammebraut, hat alle Ingredenzien, zu einer echen Bedrohung des Friedens, nicht nur im Nahen Osten und damit für die Sicherheit Israels, sondern auch für Europa und Deutschland zu werden. Der Iran treibt sein Atomprogramm weiterhin zügig voran und hat erst kürzlich eine Ladung Trägerraketen in Nordkorea geordert. War die deutsche Außenpolitik bislang nicht gewillt, das Land deswegen vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu zitieren, so ist sie es nun wegen dessen öffentlich zur Schau gestellter Ideologie, das ist immerhin besser als gar nichts. Doch sollte Deutschland sich bei diesem Schritt auch darüber im Klaren sein, daß eine solche Krise möglicherweise nicht auf Dauer mit diplomatischen Mitteln zu lösen sein wird, eine Erkenntnis die unseren angelsächsischen Bündnispartnern nicht erst umständlich beigebracht werden muß. Noch darf man sich der Hoffnung hingeben, das Regime in Teheran durch diplomatischen Druck zur Vernunft bringen oder mit wirtschaftlichen Sanktionen in die Knie zwingen zu können, doch sollte man keine allzu großen Hoffnungen mehr auf eine Entscheidung inner-iranischer Machtkämpfe zugunsten einer westlich orientierten Opposition setzen. Diese ist seit der Wahl Ahmadineschads endgültig in die Bedeutungslosigkeit abgesunken. Der iranische Staatspräsident kämpft nicht mehr gegen liberale Mullahs, sondern schwört sein Volk auf neue revolutionäre Herausforderungen ein, und der Westen sollte diesen Impetus keinesfalls unterschätzen.

Posted by bo at 23:02
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Donnerstag, Dezember 01, 2005

Israel im Umbruch

Schimon Peres kehrt seiner Partei den Rücken

Was sich in den letzten Wochen auf Israels politischer Bühne getan hat, ist an Spannung kaum zu überbieten. Der elder statesman Schimon Peres mußte den Vorsitz der Arbeiterpartei an den stramm links agitierenden Amir Peretz abgeben und Ariel Scharon kehrte dem Likud den Rücken. Er gründete mit einigen Getreuen aus seiner alten Partei eine Kadima genannte neue Kraft der Mitte, die das politische Lebenswerk Scharons fortführen soll. Scharon sah sich in den vergangenen Wochen zunehmend einem innerparteilichen Druck durch seinen schärfsten Widersacher Benjamin Netanjahu ausgesetzt, der es ihm nicht mehr ermöglichte, das Kabinett seiner Regierung nach eigenen Wünschen umzubauen. Vor allem aber stand er wegen des israelischen Rückzugs aus dem Gaza-Streifen in der Kritik von Groß-Israel Ideologen und Hardlinern, die sich mit den neuen Verhältnissen nicht anfreunden können. Nicht ganz überraschend schließt sich nun auch Peres der neuen Partei Scharons an, denn beide haben schließlich die Politik des Rückzugs aus Gaza gemeinsam getragen und in ihren jeweiligen Parteien durchgesetzt. Dieser Schritt Peres' dürfte die ohnehin schon hervorragenden Aussichten für die neue Partei bei den für März 2006 angesetzten Parlamentswahlen noch einmal erheblich verbessern und der Kadima zur Regierungsbeteiligung verhelfen. Es wird Scharon angesichts der Anfeindungen aus dem eigenen Lager auch persönliche Genugtuung bereiten, daß er, der schon vor 32 Jahren mithalf, den Likud zu gründen, mit seiner neuen Partei erneut zum Königsmacher werden könnte - wenn der neue Regierungschef nicht ohnehin wieder der alte sein wird. So aufregend die Geschehnisse der letzten Tage in Israel also sind, so wenig wird sich der politische Konflikt um den richtigen Weg zwischen Appeasement, Aussöhnung oder Abgrenzung von den Palästinensern im Grundsatz ändern. Die Hauptdarsteller haben die Kostüme gewechselt, das Stück, das sie spielen, ist jedoch noch das Selbe.

Posted by bo at 22:28
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Freitag, November 25, 2005

Merkels Außenpolitik

Merkel und Blair haben EU-Haushalt im Blick

Die deutsche Kanzlerin unternimmt erste zaghafte Schritte auf dem so glatten außenpolitischen Parkett, auf dem man sich so manche Meriten erwerben oder aber auch viel Porzellan zerbrechen kann, wie Gerhard Schröder in den letzten Jahren seiner Kanzlerschaft bewiesen hat. Traditionsgemäß führte die erste Reise von Angela Merkel nach Frankreich, doch die schmeichelhaften Gesten des französischen Staatspräsidenten Chirac zeigen, daß solcherart Ehrerweisung nicht mehr für selbstverständlich genommen wird, zu Recht. Denn längst ist es an der Zeit für eine deutsche Interessenpolitik, die diesen Namen auch verdient und sich nicht länger zum Sachwalter französischer Dominanzgelüste macht. Gar so viel Ungemach droht allerdings nicht von Seiten der neuen deutschen Regierung, behutsam und eingebunden in großkoalitionäre Staatsraison unternimmt Merkel die ersten Verständigungsversuche mit den Staats- und Regierungschefs in Europa. Ihre Reise führte sie über Brüssel sogleich nach Großbritannien. Aus den Gesprächen mit Tony Blair drang nur wenig darüber nach außen, wie man die Machtkämpfe um den EU-Haushalt nun zu lösen gedenkt. Es wäre Angela Merkel zu empfehlen, sich stärker auf die Seite des britischen Premiers zu schlagen, der das Faustpfand seines Länderrabatts nur gegen einen Verzicht der Franzosen auf ihre exorbitanten Agrarsubventionen hergeben will. Von einem Richtungswechsel in der Außenpolitik ist derzeit also noch nicht viel zu sehen, aber doch hat es den Anschein, daß Angela Merkel den Paradigmenwechsel der Schröderschen Außenpolitik schrittweise zurückdrehen wird. Dies könnte die Absage an die unsägliche Achse Paris-Berlin-Moskau ebenso bedeuten wie den arroganten Umgang mit unseren kleineren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa. Vor allem aber sollte sie sich um eine Revitalisierung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses bemühen und die Chance auf einen Neuanfang, der nicht zuletzt auch in ihrer Person liegt, nutzen.

Posted by bo at 21:17
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