Freitag, November 25, 2005

Merkels Außenpolitik

Merkel und Blair haben EU-Haushalt im Blick

Die deutsche Kanzlerin unternimmt erste zaghafte Schritte auf dem so glatten außenpolitischen Parkett, auf dem man sich so manche Meriten erwerben oder aber auch viel Porzellan zerbrechen kann, wie Gerhard Schröder in den letzten Jahren seiner Kanzlerschaft bewiesen hat. Traditionsgemäß führte die erste Reise von Angela Merkel nach Frankreich, doch die schmeichelhaften Gesten des französischen Staatspräsidenten Chirac zeigen, daß solcherart Ehrerweisung nicht mehr für selbstverständlich genommen wird, zu Recht. Denn längst ist es an der Zeit für eine deutsche Interessenpolitik, die diesen Namen auch verdient und sich nicht länger zum Sachwalter französischer Dominanzgelüste macht. Gar so viel Ungemach droht allerdings nicht von Seiten der neuen deutschen Regierung, behutsam und eingebunden in großkoalitionäre Staatsraison unternimmt Merkel die ersten Verständigungsversuche mit den Staats- und Regierungschefs in Europa. Ihre Reise führte sie über Brüssel sogleich nach Großbritannien. Aus den Gesprächen mit Tony Blair drang nur wenig darüber nach außen, wie man die Machtkämpfe um den EU-Haushalt nun zu lösen gedenkt. Es wäre Angela Merkel zu empfehlen, sich stärker auf die Seite des britischen Premiers zu schlagen, der das Faustpfand seines Länderrabatts nur gegen einen Verzicht der Franzosen auf ihre exorbitanten Agrarsubventionen hergeben will. Von einem Richtungswechsel in der Außenpolitik ist derzeit also noch nicht viel zu sehen, aber doch hat es den Anschein, daß Angela Merkel den Paradigmenwechsel der Schröderschen Außenpolitik schrittweise zurückdrehen wird. Dies könnte die Absage an die unsägliche Achse Paris-Berlin-Moskau ebenso bedeuten wie den arroganten Umgang mit unseren kleineren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa. Vor allem aber sollte sie sich um eine Revitalisierung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses bemühen und die Chance auf einen Neuanfang, der nicht zuletzt auch in ihrer Person liegt, nutzen.

Posted by bo at 21:17
Categories: Aus der Ferne betrachtet

Samstag, November 19, 2005

Die Sonne geht im Osten auf

"Die linke Volkspartei sind wir"

Nun hat auch die zweite deutsche Volkspartei einen Vorsitzenden, der den überwiegenden Teil seines Lebens in der DDR verbracht hat. Wenn es auch auf den ersten Blick erstaunlich erscheinen mag, daß ein Mann wie Matthias Platzeck, der über keine nennenswerte Hausmacht in der SPD verfügt und der erst seit 10 Jahren Parteimitglied ist, die Herzen der Genossen im Sturm erobern konnte, so auffällig sind doch die Parallelen zu Angela Merkel. Diese zog ja nicht ohne Grund die Hoffnungen der Parteibasis auf sich, als sie das Ende der Ära Kohl in der CDU einläutete und sich als moralisch unbelastete Alternative positionieren konnte. Das fast einstimmige Wahlergebnis auf dem SPD-Parteitag für den brandenburgischen Ministerpräsidenten läßt ähnliche Heilserwartungen bei den innerparteiliche Intrigen und Ränkespiele überdrüssigen Delegierten erahnen. Fehlende parteipolitische Sozialisierung konnte Angela Merkel durch die geschickte Inszenierung plebiszitartig organisierter Regionalkonferenzen wettmachen und sich so der loyalen Gefolgschaft der einfachen Mitglieder versichern. Auch Matthias Platzeck hat das Zeug zum Tribun, gerade weil er nicht gar so machtversessen daherkommt wie viele der Parteikarrieristen, die politische Inhalte nur noch als Mittel zum Zweck verstehen. Platzeck hat sich nicht nach dem Vorsitz in der SPD gedrängt, aber er hat nun beherzt zugegriffen, auch weil er dem Projekt der großen Koalition eine Chance einräumen möchte. Die Politik der kommenden Jahre wird vom nüchternen Stil dieser zwei sachorientieren Naturwissenschaftler profitieren, die sich wohltuend von dem Einerlei aus Juristen, Beamten und Gewerkschaftern abheben, die die Bundespolitik für gewöhnlich fest im Griff haben. Innerparteilich stehen Matthias Platzeck ebenfalls große Herausforderungen bevor, denn er wird es sein, der über den künftigen Kurs der SPD zur Linkspartei zu bestimmen hat. Mit der nach Westen ausgedehnten PDS ist den Sozialdemokraten in diesem Jahr ein unangenehmer politischer Konkurrent entstanden, und schon mehren sich die Stimmen, die, wie der Regierende Bürgermeister von Berlin Wowereit, für einen Lagerwahlkampf unter Einschluß der Linkspartei bei der nächsten Bundestagswahl plädieren. Dann wird Matthias Platzeck seinen Vertrauensvorschuß bei den Parteimitgliedern dringend benötigen, denn eine solche Richtungsentscheidung könnte die SPD nur allzu leicht zerreissen.

Posted by bo at 20:48
Categories: Zu Hause ist es doch am schönsten

Mittwoch, November 16, 2005

Sprachen

Die erste Fremdsprache zu lernen ist schwer, denn man versucht, seine Muttersprache nachzuahmen. Um so leichter fällt einem der Erwerb weiterer Sprachen, denn nun kann man sich an den Grundkenntnissen der ersten Fremdsprache orientieren.
Posted by bo at 13:41
Categories: Aphorismen

Montag, November 14, 2005

Die Regierung des Jahres 2007

Kalkulierter Verfassungsbruch

Der Bürger hat es kaum bemerkt, daß dieses Land bereits seit Monaten nurmehr verwaltet, denn regiert wird. So dürfte es auch zu keinem Aufschrei des Entsetzens führen, wenn die große Koalition aus CDU/CSU und SPD nun in ihrem heute von den Parteitagen gebilligten Vertrag die meisten ihrer Vorhaben auf das Jahr 2007 verschoben hat. Wie ein Science Fiction liest sich der Koalitionsvertrag, der davon kündet, daß man die Renten von 2007, das Rentenalter von 2012 an erhöhen, die Mehrwertsteuer ab 2007 auf 19 Prozent anheben, im Gegenzug dafür die Arbeitslosenversicherung im selben Jahr um 2,5 Prozentpunkte senken und die Einkommensteuer für hohe Einkommen erhöhen wolle. Wichtige Reformvorhaben, wie eine eine Gesundheits- oder die Föderalismusreform wurden auf die kommenden Jahre vertagt, die Verhandlungen dazu sollen im Jahr 2006 beginnen. Für das nächste Jahr ist außer dem Ende der Eigenheimzulage sowie der Korrektur von kostspieligen Hartz IV-Maßnahmen vor allem ein verfassungswidriger Haushalt angekündigt, dessen Neuverschuldung wieder deutlich über den für Investitionen aufgewendeten Haushaltsmitteln sowie jenseits der Maastricht-Verschuldungsgrenzen liegen wird. Dabei hat unser Land eigentlich keinen weiteren Aufschub verdient, ja vielmehr eine Regierung, die die entscheidenden Fragen nach Deutschlands Zukunft beantwortet. Zu diesen gehört zum Beispiel, woher der Wohlstand in unserem Lande morgen kommen soll, der alleinige Grundlage ist für das sozialstaatliche Füllhorn, welches bisher noch jede Regierung seit der letzten großen Koalition Ende der 60er Jahre über die Bürger ausgeschüttet hat. Nun kann der Staat die dafür notwendigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Innovationen aus sich heraus nicht hervorbringen, doch muß er die Bürger seines Landes durch entsprechende ordnungspolitische Maßnahmen unterstützen und den Rahmen für erfolgreiches und damit auch gemeinnütziges Handeln legen. Statt dessen feiert in dem vorliegenden Vertragswerk die gute alte sozialdemokratische Idee, der Bürger sei für den Staat da, fröhliche Urständ und Bund und Länder genehmigen sich zunächst einmal einen Schluck aus der Steuererhöhungspulle. Anstatt harte Reformmaßnahmen gleich zu Beginn in Angriff zu nehmen und somit zumindest die Chance zu wahren, von den erhofften Erfolgen noch vor den nächsten Wahlen profitieren zu können, vergeuden die Beteiligten wertvolle Zeit. Besonders schmerzt die Einsicht, daß es derzeit keine politische Kraft in Deutschland vermag, die galoppierende Staatsverschuldung umgehend auf Null zurückzufahren, obwohl dies - von vielen Experten vorgerechnet - ohne weiteres möglich wäre. Die große Koalition ist der Beweis dafür, daß auch die mehr als 200 an den Verhandlungen beteiligten Politiker aus Bund und Ländern sowie aller bürokratische Sachverstand und alles Lobbyistentum eine gute politische Idee und die daraus gespeiste Überzeugungskraft nicht ersetzen können, die allein in der Lage wären, den Deutschen die Notwendigkeit zu einschneidenden Reformen zu vermitteln.

Posted by bo at 23:03
Categories: Zu Hause ist es doch am schönsten

Sonntag, November 06, 2005

Die französische Intifada

France records most violent night

Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen dem Sendungsbewußtsein einer Nation und ihren inneren Konflikten. Die französischen Unruhen erinnern an die Ausschreitungen im Stadteil South Central von Los Angelos, die 1992 auf den Freispruch von vier Polizisten folgten, die einen Schwarzen vor laufender Kamera verprügelt hatten. Noch allerdings erreichen die französischen Brandschatzungen und Plünderungen nicht das Ausmaß amerikanischer Rassenunruhen, bei denen erheblich mehr Menschen ums Leben kamen. Doch der Flächenbrand von Gewalt und Kriminalität, der sich mittlerweile auf viele französische Städte und ihre Vorstadtghettos ausgebreitet hat, sorgt im alten Europa für erhebliches Unbehagen, hielt man doch bisher große Stücke auf eine Integrationspolitik, die viele der in den letzten Jahrzehnten aufgetretenen Probleme einfach in die sozialen Wohnungsbauprojekte der Satellitenstädte verbannt und damit aus dem Blickfeld der französischen Eliten genommen hat. Daß sich durch diese schon seit Jahren kaum noch ein Polizeifahrzeug unbehelligt seinen Weg bahnen kann, weil es entweder tagsüber mit Steinen beworfen oder nachts in Brand gesteckt wird, erinnert nicht nur an die palästinensische Intifada, es zeugt auch von der Ohnmacht des französischen Staates, der den Gewaltexzessen viel zu lange untätig zusah. Selbst jetzt, wo konsequentes und hartes Durchgreifen gefragt wäre, um die friedlichen Bewohner der betroffenen Städte und Stadtteile zu schützen, vergeudet die französische Regierung ihre Zeit mit einem Richtungsstreit über Zuckerbrot oder Peitsche und setzt die Hoffnung in symbolische Gesten, wie ein Streitgespräch zwischen Staatspräsident Chirac und Jugendlichen aus den Einwandererfamilien. Natürlich braucht es mittel- und langfristige Konzepte, um die überwiegend afrikanischen und arabischen Jugendlichen und ihre Familien aus der sozialen Isolation zu befreien, doch dies käme einer nationalen Kraftanstrengung gleich, denn die fehlgeleitete Politik der vergangenen Jahrzehnte ist wohl kaum in ein paar Wochen wiedergutzumachen. Angesichts der vom Fernsehen gezeigten Bilder können wir Deutschen froh sein, daß unsere Ghettos mitten in den Großstädten liegen und die Durchmischung der Bevölkerung insgesamt besser ist, wenngleich ritualisierte Unruhen, wie der 1. Mai in Berlin, wenig Anlaß zu Hochmut geben. Kurzfristig kann nur die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols die bürgerkriegsähnlichen Zustände beenden, darin sollte Premierminister Dominique de Villepin seinen Innenminister Sarkozy unterstützen, anstatt aus der Situation Kapital für den Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2007 schlagen zu wollen. Andernfalls dürfte abermals die extreme Rechte und damit Jean-Marie Le Pen von der Bewegungsstarre, in die das französische Establishment gefallen ist, profitieren und in zwei Jahren erneut zum ernsthaften Konkurrenten der beiden populären französischen Kronprinzen werden.

Posted by bo at 18:47
Categories: Aus der Ferne betrachtet