Donnerstag, Juni 23, 2005

Die EU im Ausnahmezustand oder Warum Blair Recht hat

Blair tells EU to change or fail

Nachdem der Rausch der Referenden ausgeschlafen ist, bleibt in der Europäischen Union nur noch der Kater. Niemand spricht mehr von der Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses der neuen EU-Verfassung, mit Trotz alleine ist der Patient offenbar nicht wiederzubeleben. Den beteiligten Regierungen ist klar geworden, daß mit einem Weiter so die Zustimmung der Bevölkerungen nicht errungen werden kann. Der britische Premier Tony Blair nutzt die aktuelle Schwäche der französischen und deutschen Regierungen und verlangt eine grundlegende Neuordnung der EU-Finanzen. Er kritisiert die ungebührlich hohen Agrarsubventionen, die vor allem Frankreich zugute kommen und will den 1984 gewährten Thatcher-Rabatt der Briten erst opfern, wenn die Union sich stärker der Förderung von Forschung und Technologie zuwendet. Der gerade zu Ende gegangene EU-Gipfel hat bei allen Beteiligten tiefe Wunden hinterlassen, selbst der Nachhall der Debatten in Presse und Fernsehen war giftig und ließ die aufgetretenen persönlichen Animositäten nur allzu klar hervortreten. Hinter dem Konflik um die EU-Agrarpolitik stecken zudem politische Grundsatzdebatten, die wir aus heimischen Talkshows nur zu gut kennen. Chirac und Schröder haben Blair zum Buhmann erkoren und werfen ihm kalten Kapitalismus vor. Als Gegenmodell stellen sie das soziale Europa der Mindestlöhne hin, welches sich gegen Globalisierung und Marktgesetze stemmen solle, also das Europa nach dem Vorbild der Großschuldenmacher Frankreich und Deutschland. Es ist bedauerlich, daß Deutschland bei diesem Konflikt wieder einmal in französischem Fahrwasser schwimmt. Deutschlands Interessen sollten darin bestehen, die Rolle als Zahlmeister der EU abzulegen, sie entspricht schon längst nicht mehr der deutschen Leistungsfähigkeit. Wäre eine schwarz-gelbe Regierung in unserem Land an der Macht, wüßte diese auch mehr mit den reformerischen Ideen Tony Blairs anzufangen und würde die in Deutschland notwendigen Sozialstaatsreformen in gleicher Weise auf die EU anwenden wollen. Gerade unser Land sollte die Analyse des britischen Premierministers teilen, daß ein stures Non zur Globalisierung Europa leider nicht vom weiteren Zurückfallen gegenüber dem amerikanischen oder asiatischen Wirtschaftsraum bewahren wird. Lediglich in der Erweiterungsfrage (z.B. im Hinblick auf die Türkei) enden die Gemeinsamkeiten mit Großbritannien. Wir wären also gut beraten, unsere Nibelungentreue gegenüber Frankreich schleunigst abzulegen und unsere Europa-Politik auf die beginnende Ratspräsidentschaft der Briten auszurichten.

Posted by bo at 22:35
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Freitag, Juni 17, 2005

Tempo 120 für Deutschland

Umweltministerium: Experten fordern Tempo 120 auf Autobahn

Ein Gutachten, das der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) im Auftrag des Bundesumweltministeriums vorgelegt hat, empfiehlt die flächendeckende Einführung von Tempo 120 auf deutschen Autobahnen. Innerstädtisch sollten generell Tempo 30 gelten, außer auf Durchgangsstraßen. Neben dieser Forderung, die Schlagzeilen in der Tagespresse garantiert, geht es in dem Gutachten vor allem um die weitere Verringerung des Einflusses von Straßen- und Güterverkehr auf Umwelt und Menschen. Dazu gehören die weitere Schadstoffreduzierung, die Senkung der Verkehrsunfallzahlen oder auch die nachhaltige Flächennutzung für den Straßenausbau. Die Belastung der uns umgebenden Umwelt durch Schadstoffausstoß ist ja nur die eine Seite der Medaille. Am Verkehr und seinen Folgen, seien es Lärm, Streß oder Unfälle leiden auch die an ihm teilnehmenden Menschen ganz unmittelbar. Die umgehend vom ADAC vorgebrachte Kritik, daß ein generelles Tempolimit von 120 auf deutschen Autobahnen nur zu einer geringen Schadstoffreduktion führen würde und Autobahnen zu den sichersten Straßen in unserem Lande gehörten, läßt daher ganz wesentliche Aspekte außer Acht. Ein solches Tempolimit würde zunächst einmal zu einem erheblich streßfreieren Fahrerlebnis für alle Autofahrer führen. Wer schon jemals in den Vereinigten Staaten im Auto gesessen hat, wird dies bestätigen können. Darüber hinaus wären die Folgen von Unfällen geringer, ihre absolute Zahl würde ebenso abnehmen. In einem hochverdichteten Land wie der Bundesrepublik aber spricht auch die zu erwartende Lärmreduktion für ein solches Tempolimit. Daß mittlerweile auch die Grünen und ihr Umweltminister die Chancen erkennen, die sich aus dem technischem Fortschritt für die Umwelt ergeben, darf nicht weiter verwundern, denn fast alle Verbesserungen in den letzten 20 Jahren gehen auf diesen zurück. Fraglich bleiben allerdings Forderungen, die in dem Gutachten ebenso aufgeführt werden, ein "hohes Mobilitätsniveau auch mit weniger Verkehr" zu gewährleisten. Was wie die Quadratur des Kreises erscheinen mag, riecht nach schnöder Planwirtschaft und Dirigismus. Eine Einschränkung ihrer individuellen Mobilität werden die Bürger nicht bereit sein hinzunehmen. Eine Orientierung der gewohnten Bewegungsfreiheit am Allgemeinwohl ist allerdings zulässig und erforderlich.

Posted by bo at 22:53
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Montag, Juni 13, 2005

Die neue Linke - eine Gefahr für die SPD?

PDS zu Namensverzicht bereit

Die schleichende Auflösung der rot-grünen Bundesregierung wird seit der Ankündigung vorgezogener Neuwahlen von der Aussicht auf eine neue linke Partei begleitet. PDS und die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), die bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen bereits für Schrecken bei den Sozialdemokraten gesorgt hat, wollen sich für die Bundestagswahl zusammenschließen. Da einer solchen Verbindung strikte Grenzen gesetzt sind, um die bloße Stimmenaddition von Parteien zur Überwindung der 5-Prozen-Hürde zu vermeiden, plant man, die Kandidaten der WASG auf einer offenen Liste der PDS kandidieren zu lassen. Die Führungen beider Parteien sprechen sogar von einem Zusammenschluß nach der Bundestagswahl, sofern die Basis dem Vorhaben keine Absage erteilt. Der Erfolg des Unternehmens ist also noch keineswegs ausgemacht, die Linke leidet - ähnlich wie der extreme rechte politische Rand - an notorischer Zerstrittenheit. Herkommen und Basis von PDS und WASG darf man sich recht unterschiedlich vorstellen, hier die immer noch stark schrumpfende DDR-Identitätspartei, dort die von Alt-Spontis gegründete und sich im Aufwind fühlende westlinke Anti-Hartz-IV-Bewegung. Mehr als um programmatische Identitätsfindung geht es beiden Parteien jedoch im Moment vorrangig um die Gewinnung medial vorzeigbarer Spitzenkandidaten, auf der einen Seite Gregor Gysi, auf der anderen Oskar Lafontaine. Dennoch dürfte man im Willy-Brandt-Haus das Entstehen einer neuen linken Kraft im Lande mit Nervosität verfolgen, zumal in einer Situation, in der man offensichtlich weite Teile seiner Gefolgschaft nachhaltig verunsichert hat und somit Gefahr läuft, eine unter drei schwachen linken Parteien im Bundestag zu werden. Dabei sollte das neue Bündnis auch für die CDU kein Anlaß zur Freude sein. Der PDS ist es in den letzten Jahren bereits nachhaltig gelungen, im Osten auch für bürgerliche Schichten einen attraktiven Mix aus Lokalpatriotismus und Anspruchsdenken zu verkörpern. Eine 20-Prozent-PDS in den nicht mehr so neuen Bundesländern geht immer auch zu Lasten beider Volksparteien. Der SPD jedoch sind derzeit die Hände gebunden. Es wird ihr kaum gelingen, die Reformverweigerer und Wirklichkeitsflüchter am Rande ihrer eigenen Partei im bevorstehenden Bundestagswahlkampf zurückzugewinnen. Da man sich hinter die Mini-Reform Agenda 2010 zu stellen beabsichtigt, bleibt für eine erneute Konsolidierung und Sammlung nur die Zeit nach der Wahl. Wenn es der PDS gelänge, mit Hilfe der WASG endlich im Westen Fuß zu fassen, dann wird man sich in der SPD noch lange an diesen Zusammenschluß erinnern.

Posted by bo at 23:03
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Samstag, Juni 11, 2005

Die Union, die keine wird

Wechselseitige Helfer in der Not

Die nach dem verlorenen EU-Referendum vom französischen Staatspräsidenten Chirac hastig eingesetzte neue Regierung verkündet in Person ihres Premierministers Dominique de Villepin eine "Union mit Deutschland in ausgewählten Politk-Bereichen". Die Franzosen stellen sich eine enge Zusammenarbeit mit dem Nachbarn in denjenigen Bereichen vor, die weder durch europäische Gesetzgebung noch durch den deutschen Bundesrat vor staatsmännischen Phantasien bewahrt werden: Außen- und Verteidigungspolitik sowie Forschungs- und natürlich Sozialpolitik. In Paris scheint man noch nicht realisiert zu haben, daß man von der Bundesregierung in der derzeitigen Situation wohl kaum neuen europäischen Elan erwarten darf. Entsprechend lau war die Reaktion aus Berlin. Selbst wenn Rot-Grün derzeit nicht lediglich mit der Organisation des eigenen Abtretens beschäftigt wäre, so täte eine deutsche Regierung grundsätzlich gut daran, deartigen Kopfgeburten aus dem Elysée-Palast eine diplomatisch gemilderte Abfuhr zu erteilen. Warum sollte Deutschland sich ausgerechnet stärker an ein Frankreich binden, das nicht nur an den selben Problemen krankt - hoher Arbeitslosigkeit, Krise der sozialen Sicherungssysteme, schwachem Wirtschaftswachstum und überbordender Bürokratie, um nur einige zu nennen, sondern welches darüber hinaus vorranging seine eigenen Interessen verfolgt, auf internationaler Bühne, in der EU und dies auch in einem Bund aus Deutschland und Frankreich tun würde. Während Chirac und seine Mannen von einer multipolaren Welt träumen, in der Frankreich, zusammen mit Rußland und Deutschland, ein Gegengewicht zu den USA und ihrem engsten Verbündeten Großbritannien bilden sollen, sollte Deutschland sein sicherheitspolitisches Heil tunlichst nicht in französischen oder gar russischen Sicherheitsgarantien suchen. Eine neue Bundesregierung unter Angela Merkel wird die außenpolitischen Irrwege von Fischer und Schröder korrigieren und Deutschland wieder näher an die Vereinigten Staaten anlehnen. Damit würde Deutschland zugleich auch mit etlichen der mitteleuropäischen Nachbarn, die den deutsch-russischen Schmusekurs der Vergangenheit mit Mißtrauen verfolgt haben, ein einvernehmlicheres Verhältnis erzielen können. Deutschland braucht keine deutsch-französische Union, erst recht nicht als Vehikel zur Erlangung einer Supermacht-Stellung. Als Mittelmacht tun wir gut daran, uns an eine Großmacht anzulehnen, vernünftigerweise können dies nur die USA sein.

Posted by bo at 21:52
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Montag, Juni 06, 2005

Revolte der SPD-Linken?

SPD erwartet Vertrauensfrage zu Agenda 2010

Während der Kanzler noch über den richtigen Weg grübelt, wie er seine Vertrauensfrage im Parlament stellen will, beginnen die Debatten in der SPD lebhaft zu werden. Die Regierungspartei hatte sich nach der Ankündigung vorgezogener Neuwahlen in Person ihres Vorsitzenden hinter Gerhard Schröder gestellt, eine auf den ersten Blick weitsichtige Entscheidung. Mit wem sonst wolle man die Wahlen gewinnen und wie würde es auf den Wähler wirken, wenn die Regierungspartei kurzerhand ihren Kanzler schassen würde? Nein, entschied Müntefering, mit Schröder und seiner Agenda 2010 werde man antreten, koste es, was es wolle. Und viele in der SPD glauben - die Grünen sind davon schon überzeugt, daß es die Genossen die Macht kosten werde. Das beunruhigt nicht nur die Mandatsträger in Fraktion und Partei, die um ihre Pfründe fürchten. Auch die Gewerkschaften bangen um ihre Regierungsbeteiligung, und kündigen bereits den "Häuserkampf" an, sollte eine unionsgeführte Regierung betrieblichen Bündnissen Vorfahrt gewähren. Die SPD-Linke führt nun schon die Debatte, ob man überhaupt noch einmal mit der ungeliebten Agenda 2010 antreten wolle. Doch eröffnet dies nicht die Möglichkeit, sich auch ohne den amtierenden Kanzler zur Wiederwahl zu stellen? Ist es überhaupt denkbar, daß Schröder sich vor den Karren einer "anderen Finanz- und Wirtschaftspolitik" (Nahles) spannen läßt? Niemand würde ihm diese Wende abnehmen, aus dem Genossen der Bosse soll urplötzlich der Anwalt der sozialen Balance werden? Eine merkwürdige Vorstellung. Warum nicht den nächsten Schritt denken und den Kanzler auswechseln, dann könnte man auch ohne Gewissensbisse die Politik wechseln. Und tatsächlich wäre dies der von so manchem in der SPD insgeheim favorisierte Weg. Man darf weiter gespannt sein, wie die Geschichte einer Partei, die von ihrem Kanzler in Geiselhaft genommen wurde, ausgeht. Für unser Land wäre es allerdings von Vorteil, wenn die SPD sich vom Herbst an in der Opposition von den parteiinternen Debatten ein wenig erholen würde.

Posted by bo at 22:13
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Mittwoch, Juni 01, 2005

Doppelschlag gegen die EU

Dutch voters 'reject EU treaty'

Nach den Franzosen haben nun auch die Niederländer der EU-Verfassung eine Absage erteilt. Noch deutlicher als am Sonntag stoppten die ehemaligen Mustereuropäer den Ratifizierungsprozeß des Vertrages in ihrem Land. Wie auch in Frankreich waren hierfür vor allem innenpolitische Gründe, in starken Maße aber auch eine allgemeine Angst vor den Folgen der Globalisierung, einer uferlosen Ausweitung der EU sowie ein tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber der eigenen politischen Klasse ausschlaggebend. Die im niederländischen Parlament vertretenen Parteien hatten das Vertragswerk einhellig befürwortet. Sie sind nun zwar nicht an die Bürgerbefragung gebunden, eine Annahme der EU-Verfassung gilt aber als ausgeschlossen. Daß das Vertragswerk, über das unsere Nachbarn nun den Stab gebrochen haben, wohl von fast niemandem gelesen wurde, verwundert kaum, ist es doch aufgrund seiner Länge und Technizität eine besonders volksferne Lektüre. Die meisten Politiker jedoch konnten sich mit den Neuregelungen zur Machtverteilung und Beschlußfassung in den verschiedenen Organen der EU gut anfreunden und sahen in dem Werk vor allem die längst überfällige Zusammenfassung vieler bestehender Regelungen und so manche sinnvolle Klarstellung und Vereinfachung. Gerade die großen Länder wie Frankreich und Deutschland hätten von den neuen Mehrheitsverhältnissen profitiert. Der französische Staatspräsident Chirac darf sich nun jedoch nicht über das Mißtrauensvotum seiner Bürger wundern, denn er selber hatte die Europäische Union stets als Vehikel zur Wahrung französischer Interessen ausgegeben. Wenn ein Volk seiner Regierung jedoch nicht länger zutraut, den Weg aus Wirtschaftsmisere, Arbeitslosigkeit und Zukunftsangst zu weisen, dann ist es naheliegend, daß es auch dem Prestige-Projekt seiner Herrscher nicht folgen mag. Die gescheiterten Volksabstimmungen sind somit auch eine Folge der immer noch zögerlichen politischen Integration der EU-Mitgliedsländer, die ihre nationale Souveränität nicht aufgeben möchten. Es muß sich dann aber auch niemand wundern, wenn die Ratifizierung eines Verfassungstextes für innenpolitische Machtspiele herhalten muß.

Posted by bo at 22:52
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