Sonntag, Juni 18, 2006

Teile und heirate

Streit ums Ehegattensplitting wird schärfer

Wie schon auf anderen Politikfeldern, wächst die Große Koalition auch in familienpolitischen Grundsatzfragen zusammen. CDU-Generalsekretär Pofalla schreckte Teile seiner Partei mit seinen progressiven Vorstellungen zur Einführung eines Familiensplittings auf. Besonders aus der CSU werden Stimmen laut, die vor einer Abschaffung des Ehegattensplittings in seiner derzeitigen Form warnen. In der größeren Schwesterpartei hingegen gibt es deutlichen Rückenwind für eine Modernisierung der mit Steueranreizen arbeitenden Familienpolitik, die in Zukunft vor allem Familien mit Kindern und nicht ein kinderloses Ehepaar unterstützen will. Derzeit bleiben über 40 Prozent aller Ehen kinderlos, profitieren aber dennoch von den erheblichen Steuervorteilen, die das Ehegattensplitting mit sich bringt. Dabei ist der von den Verteidigern der derzeitigen Regelung vorgebrachte Hinweis auf die verfassungsmäßige Sonderstellung der Ehe nur bedingt richtig. Denn eigentlich heißt es in Artikel 6 des Grundgesetzes ja, daß "Ehe und Familie" unter einem besonderen Schutz stehen. Und Familie bedeutet heutzutage nach allgemeinem Verständnis natürlich nicht nur das mit Trauschein lebende Ehepaar. Eine steuerliche Besserstellung von unehelichen Lebensgemeinschaften, sofern sie Kinder haben, ist wünschenswert. Allerdings wird eine derartige Lösung vor ähnlichen Nachweisproblemen stehen wie die bei Hart IV so kostspielige Regelung bei den Bedarfsgemeinschaften. Eine Möglichkeit bestünde darin, mit Steuerfreibeträgen je Kind zu arbeiten, deren Anwendbarkeit z.B. an das Sorgerecht gekoppelt wäre. Um die zahlreichen Kritiker in ihrer eigenen Partei auf den Modernisierungsweg mitzunehmen, wird Angela Merkel vermutlich das Ehegattensplitting nicht zur Gänze abschaffen, sondern die bestehende Regelung um ein Familiensplitting erweitern. Ein solcher vermutlich nicht ganz billiger Kompromiß wäre allerdings nur gutzuheißen, wenn zugleich Einschnitte an anderer Stelle vorgenommen würden.

Posted by bo at 23:23
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Montag, Juni 12, 2006

Schüssel sinniert über Europa

Wolfgang Schüssel: "Die Kernbotschaft Europas finden Sie auf jedem Dorffriedhof"

Europa liegt derzeit auf der Couch. Der Selbstfindungsprozeß dauert spätestens seit der Ablehung des Verfassungsentwurfes in Frankreich und den Niederlanden an und treibt bisweilen seltsame Blüten. Obwohl offensichtlich keine Chance mehr besteht, die "Europäische Verfassung" in ihrer alten Form durchzusetzen, hat Bundeskanzlerin Merkel bis vor kurzem sogar behauptet, das tote Kind mit offensichtlich übersinnlichen Fähigkeiten wieder zum Leben erwecken zu können. Davon ist nun jedoch jedoch nicht mehr die Rede, wenn Merkel Mitte des Monats zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs fährt. Der Hoffnung, daß Teile des Verfassungsentwurfes noch gerettet werden können, hängen etliche europäische Regierungen nach, beileibe nicht nur die deutsche. Die Fragen der Verfaßtheit Europas, seine Maßstäbe, Gewaltenteilung und Handlungsfähigkeit sind durchaus wesentliche Fragen für das künftige Funktionieren des größten Staatenbundes der Welt, der sich anschickt, weiter zu wachsen. Doch sieht sich die Europäische Gemeinschaft zunehmend ideologischen Konflikten ausgesetzt, die schon die jeweiligen nationalen Regierungen unterschiedlich beantworten. Die Haltung der verschiedenen europäischen Länder zum Irak-Krieg, der Streit um die Dienstleistungsrichtlinie oder die Erweiterungsdebatte sind nur einige Beispiele. Der Grundsatzstreit um eine liberal-marktwirtschaftliche Union, die den Stürmen der Globalisierung ein modernes und leistungsfähiges Europa entgegensetzt, sowie die entgegengesetzte Vorstellung eines Sozialstaatsparadieses, welches sich vom Unbill der Welt abzukoppeln trachtet, hat gerade erst angefangen. Die Europäische Kommission sucht mehr schlecht als recht dem übernationalen Gemeinschaftsinteresse zu seinem Recht zu verhelfen, nicht ohne dabei stets von den eifersüchtig über ihre Privilegien wachenden Nationalstaaten ausgebremst zu werden. Sinnstiftend befindet der österreichische Bundeskanzler und Noch-Ratsvorsitzende Schüssel, Europa müsse wieder zur Herzensangelegenheit gemacht werden, letztlich sei die beste Begründung für ein geeintes Europa immer noch auf jedem "Dorffriedhof" zu finden. Hier irrt Herr Schüssel leider gewaltig. Zwar mag für seine Generation der Friede in Europa noch eine Errungenschaft gewesen sein, für die heutigen jungen (West-)Europäer ist er eine Selbstverständlichkeit. Vielmehr gälte es, eine Idee von Europa zu entwickeln, die um die beiden zentralen Pfeiler wirtschaftlicher Prosperität und machtpolitischer Eigenständigkeit kreist. Würde Europa tatsächlich zu jener leistungsfähigsten Volkswirtschaft des Jahres 2010 aufsteigen, wie es die vom derzeitigen Kommissionspräsidenten Barroso befürwortete Lissabon-Strategie vorgegeben hat, würde dies gleichzeitig auch viel für den europäischen Gedanken tun. Die Nationalstaaten, die auch von vielen Liberalen immer noch als natürlicher Rahmen ordnungspolitischer Reformen angesehen werden, sind doch längst mit den Herausforderungen, vor die uns Asien sowie Nordamerika stellen, überfordert. Ebenso verhält es sich mit der Steuerung der Einwanderung oder den Integrationsschwierigkeiten der Millionen bereits in Europa lebenden Immigranten. Am offensichtlichsten aber wird die Schwäche der Nationalstaaten in der Außen- und Verteidigungspolitik. Nur Europa bietet mittelfristig die Perspektive für eine selbstbewußte und interessengeleitete Außenpolitik, die uns zu einem gleichberechtigen Partner der USA und einem Gegengewicht aufstrebender und nicht immer friedlich gesonnener Mittelmächte machen kann. Ein solches Europa jedoch wird nicht mehr nach behäbigen 5-Jahres-Plänen funktionieren können und jedes halbe Jahr eine neue Agenda verkünden können, weil es sein folkloristischer Brauch der wechselnden Ratspräsidentschaft so will. Ein solches Europa muß übernational, demkokratisch und liberal verfaßt sein, soll es mit Veränderungen in der Welt Schritt halten können.

Posted by bo at 22:28
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Sonntag, Juni 04, 2006

Engagement in Afrika

Mehrheit der Deutschen lehnt Einsatz im Kongo ab

Deutschland hat entschieden und wird einige hundert Soldaten zur Absicherung von Wahlen in den Kongo schicken. Das Vorhaben war in der großen Koalition nicht wirklich umstritten, so daß sich nur wenige Abweichler mit dieser Art außenpolitischem Engagement nicht einverstanden zeigten. Ablehnung hingegen gab es bei FDP und der Linkspartei, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven. Während die ehemalige PDS das Vorhaben mit hehren pazifistischen Argumenten verdammte, führten die Freien Demokraten vor allem die stümperhafte Vorbereitung des Vorhabens gegen den guten Willen der Regierung ins Feld. Die FDP bezweifelt, daß ein auf wenige Monate und auf die Hauptstadt des riesigen Landes begrenzter Einsatz dauerhaft zu einer Stabilisierung beitragen könne. Diese Zweifel sind berechtigt, allerdings kann man genauso gut dagegen ins Feld führen, daß eben auch die Kosten und Risiken des Vorhabens begrenzt seien, man es also auch einfach mal "versuchen" könne. Sehr viel idealistischer haben sich die Grünen dem Thema genähert, deren Abgeordnete mit überwältigender Mehrheit dem Einsatz zugestimmt haben. Ihr Fraktionschef Kuhn zeigte sich davon überzeugt, daß von der Sicherung demokratischer Wahlen ein Signal auch für andere afrikanische Länder ausgehe. Verkehrte Welt im Bundestag? Nicht ganz, denn schon der Kosovo-Einsatz zeigte, wie sehr sich SPD und Grüne von ihrer Wählerbasis entfernen können, wenn der gute Zweck es erlaubt. Das Wahlvolk derweil bleibt skeptisch, und so lehnen fast 60 Prozent der Deutschen den Einsatz ab. Der außenpolitische Streit zwischen Idealisten und den wieder an Zulauf gewinnenden Anhängern einer interessengeleiteten Außenpolitik entzweit nicht nur die Gelehrten. Tatsächlich darf man fragen, warum ausgerechnet Deutschland die größte Zahl von Soldaten für den Einsatz stellt, gehörte der Kongo doch bisher klar zum französischen Interessengebiet. Europa als Ganzes jedoch kann die Entwicklung in dem rohstoffreichen Land nicht egal sein, und es versteht sich daher von selbst, daß Deutschland als major player eine besondere Verantwortung tragen muß. Leider gehen der neue Geltungsanspruch Deutschlands und die Ausstattung unserer Streitkräfte nicht konform. Dafür muß man nicht einmal an die absurd erscheinenden, aber leider wahren Geschichten selbst gekaufter Ausrüstungsgegenstände unserer Soldaten in Afghanistan denken. Die Überbeanspruchung der Bundeswehr ist beschämend, und wenn einmal der Zusammenhang mit vermeidbaren Todesfällen klar wird, dann wird sich das Parlament unter öffentlichem Druck auch mit den materiellen Grundlagen unserer weltweiten Interventionen beschäftigen müssen. Derweil wartet man gespannt auf das Weißbuch unseres Verteidigungsministers Jung, welches Deutschlands Interessen sehr umfangreich definieren wird. Der Einsatz im Kongo ist allerdings der beste Beweis dafür, daß Deutschland längst aus seinem Dornrößchenschlaf wachgeküßt wurde.

Posted by bo at 22:12
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