Montag, Mai 29, 2006

Hartz IV im Visier

Streit um Hartz IV: Das Ende der Gemütlichkeit

Allmählich blättert die Fassade der Harmonie von der Großen Koalition in Berlin ab. Seien es die sicherheitspolitischen Vorstellungen von Verteidigungsminister Jung, der schwelende Konflikt um die anstehende Gesundheitsreform oder die Unternehmenssteuerreform, bei keinem Thema lassen die Regierungslager die Gelegenheit aus, sich als Reformer oder Bewahrer dar- und die Gegenseite in die Ecke zu stellen. Energisch nun nutzt die Union die Gelegenheit, die SPD, vor allem ihre Minister Steinbrück und Müntefering, wegen der horrenden Mehrausgaben im Zusammenhang mit den Hartz-IV-Reformen an den Pranger zu stellen. Die nicht eingeplanten zusätzlichen Kosten beim Arbeitslosengeld II belaufen sich allein in diesem Jahr voraussichtlich auf 3 Milliarden Euro. Gründe dafür sind die zum Teil mißbräuchliche Ausnutzung von Regelungen wie bei der Bedarfsgemeinschaft sowie erhebliche Zuverdienstmöglichkeiten. Noch diese Woche soll ein sogenanntes Fortentwicklungsgesetz in den Bundestag eingebracht werden, welches die schlimmsten Auswüchse der von Union und SPD gemeinsam zu verantwortenden Unreform rückgängig machen soll. Desungeachtet werden in der Union Stimmen laut, es müsse auch zu echten Leistungskürzungen kommen, anders sei die Kostenexplosion nicht in den Griff zu bekommen. Edmund Stoiber und viele CDU-Politiker aus der zweiten Reihe fordern eine Generalrevision, und sie haben Recht damit. Der Erfolg einer Arbeitsmarktreform sollte sich entweder daran messen lassen, inwiefern sie zu einem nennenswerten Rückgang der Arbeitslosigkeit geführt oder aber wenigstens die vollkommen desolaten Staatsfinanzen in der Weise saniert hat, daß der privaten Wirtschaft wieder Spielräume verschafft wurden, einen dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten. Beides kann man von dem Reformungetüm Hartz-IV nicht ernsthaft behaupten, auch wenn die SPD sich alle Mühe gibt, die Legende vom Jahrhundertreformwerk aufrecht zu erhalten. Angela Merkel schlug sich heute auf die Seite der Hartz-IV-Kritiker, will aber die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nicht in Frage stellen. Für den Herbst kündigt sie weitere Umbaumaßnahmen an. Letztlich wäre eine Reform am Regime der verwalteten Arbeitslosigkeit ganz einfach zu bewerkstelligen: Eine Schließung der Bundesagentur würde kurzfristig zu einem Überangebot an Arbeitsamtsfachkräften führen, hätte mittelfristig jedoch keinerlei Auswirkungen auf die Arbeitslosenquote in diesem Lande und würde langfristig zu einer neuen Dynamik im Arbeitsmarkt führen. Die Verwaltung der Versicherungsbeiträge könnte von einer kleinen Behörde und die Aufgabe der Arbeitsvermittlung problemlos von privaten Firmen übernommen werden.

Posted by bo at 21:41
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Samstag, Mai 27, 2006

Geheimniskrämerei in deutschen Behörden

Ministerium: Keine Veröffentlichung des Toll-Collect-Vertrags

Nach mehreren Anträgen auf Akteneinsicht in den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Betreiber des deutschen Mautsystems, Toll Collect, gab das Bundesverkehrministerium nun zu verstehen, daß es nicht gewillt sei, den Vertragsinhalt zu veröffentlichen. Die Antragsteller berufen sich dabei auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), welches Rot-Grün noch in den letzten Tagen seiner Amtszeit beschlossen hatte und das ein erheblich vereinfachtes Verfahren zur Akteneinsicht auch in Angelegenheiten, die den antragstellenden Bürger nicht unmittelbar betreffen, vorsieht. Von dem Gesetz erhoffte man sich neben einer größeren Transparanz behördlichen Handelns in letzter Konsequenz auch, daß es als Wunderwaffe gegen jede Form staatlicher Korruption wirken könne. Die Realität seiner Anwendung sieht allerdings beschämend aus. Anfragen bezüglich der Flugbereitschaft, die zur Aufklärung vermeintlich privat genutzer Privilegien dienen sollen, werden ebenso verweigert wie nun auch die Einsicht in das undurchsichtige Vertragswerk mit Toll Collect. Dabei berufen sich die Behörden auf eine Klausel des IFG, welche besagt, daß eine Herausgabe von Informationen unterbleiben könne, sofern Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse betroffen seien, deren Veröffentlichung wirtschaftliche Auswirkungen hätten oder die Sicherheit gefährden könnten. Dieser absolute Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gehört zu den Kompromissen, die das IFG erst durch den Bundestag gebracht haben. Allerdings können sich Verwaltungen damit nicht pauschal aus ihrer Pflicht zur Transparenz befreien, sondern müssen gegebenenfalls eine Teilveröffentlichung gewährleisten, bei der entsprechende Stellen unkenntlich gemacht werden. Das Bundesverkehrsministerium jedoch beruft sich, auch unter Verweis auf das derzeit gegen Toll Collect laufende Verfahren um die Milliardenausfälle, die aufgrund des verspäteten Starts entstanden sind, auf die Unmöglichkeit, geheimhaltungsbedürftige Passagen zu schwärzen, da in der Behörde nicht genügend Sachverstand vorhanden sei. Dieses Armutszeugnis deutschen Verwaltungshandelns bringt nicht nur Datenschutzbeauftragte und einfache Bürger in Rage. Ein SPD-Bundestagsabgeordneter wird nun vermutlich den Klageweg beschreiten und das IFG mit seinen Gummiparagraphen einer richterlichen Überprüfung unterziehen.

Posted by bo at 15:47
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Samstag, Mai 13, 2006

Die FDP als Volkspartei in der Opposition

FDP-Parteitag: Guido gegen den Rest der Welt

Als unglücklicher Gewinner der letzten Bundestagswahl nutzen die Freien Demokraten ihre Oppositionsrolle mit wachsender Begeisterung. Nachdem der Parteivorsitzende Westerwelle vor kurzem auch den Fraktionsvorsitz von Wolfgang Gerhardt im Bundestag übernommen hat, was ihm den schmeichelhaften Titel "Asterix und Obelix" eingebracht hat, nutzte er auf dem FDP-Parteitag in Rostock seine Chance zur Generalabrechnung mit der Großen Koalition. Die Alleinherrschaft Westerwelles ist in der Partei nicht wirklich umstritten, gilt es doch, die begrenzte öffentliche Aufmerksamkeit auf eine Führungsfigur zu kanalisieren, insbesondere wenn man einen solchen Medienprofi als Vorsitzenden sein eigen nennt. Andererseits kennt die FDP auch regionale Unterschiede und politische Flügel, deren programmatische Bandbreite in den kommenden Jahren leicht in Vergessenheit geraten könnten. Was Guido Westerwelle bei seiner Ansprache an die Delegierten an thematischer Vielfalt zu bieten hatte, gereicht dann auch einer Volkspartei zu Ehren. Das soziale Gewissen der Liberalen drückt sich in der Absage an jegliche Steuererhöhungspolitik der Großen Koaltion aus und selbst in der Umweltpolitik will man den Grünen Paroli bieten. Solcherart ungewohnte Töne zielen allerdings weniger auf CDU und SPD als vielmehr auf die ungeliebten Konkurrenten in der Opposition. Mit dem neuen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck hat sich für die FDP sichtlich die Alternative einer sozialliberalen Koalition im Bund eröffnet. Westerwelle kündigte daher an, erst vor der nächsten Bundestagswahl eine Koalitionsaussage treffen zu wollen, bis dahin darf man sich auf eine Poltik der Äquidistanz gefaßt machen. Je verschwommener das Profil von CDU und CSU in der Großen Koaltion wird, desto leichter dürfte es der FDP fallen, bürgerliche und konservative Wähler mit dem Angebot wirtschaftspolitischen Sachverstandes auf ihre Seite zu ziehen.

Posted by bo at 20:52
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Mittwoch, Mai 10, 2006

Deutschland einig Steuerland

Neue Belastungen für die Steuerzahler

Nun hat das Bundeskabinett das Steueränderungsgesetz 2007 beschlossen, welches Grundlage für eine Haushaltskonsolidierung im nächsten Jahr sein soll. Es enthält neben echten Steuererhöhungen, wie der Anhebung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent oder der sogenannten Reichensteuer auch etliche Subventionskürzungen. Letztere sind eindeutig zu begrüßen und stellen - wie fälschlicherweise oft behauptet - keine Mehrbelastungen für den Bürger dar, sondern sind alte Zöpfe eines Verteilungsgerechtigkeitswahns, der dieses Land teuer zu stehen kommt. So sieht das Gesetz die erschwerte Absetzbarkeit von Arbeitszimmern, eine Pendlerpauschale erst bei längeren Fahrten sowie die Herabsetzung der Altersgrenze beim Kindergeld vor. Alles in allem sollen die beschlossenen Maßnahmen dazu führen, daß die Bundesrepublik im kommenden Jahr endlich wieder das Brüsseler Defizitkriterium erfüllt, was bei guter Konjunkturentwicklung auch machbar sein sollte. Von einer Sanierung des desolaten Staatshaushaltes mit einer Gesamtverschuldung von 1,5 Billionen Euro kann dennoch nicht die Rede sein. Die große Koalition drückt sich, ähnlich wie Rot-Grün all die Jahre zuvor, vor einschneidenden Sanierungsmaßnahmen der öffentlichen Haushalte. Die verabschiedeten Steuererhöhungen werden die Konjunktur im nächsten Jahr nicht unterstützen und senden auch das falsche Signal an den Bürger aus. Anstatt konsequent zu sparen, holt sich der Staat das benötigte Geld eben beim Souverän. Zusätzlich verprellt man mit der neidgetriebenen Reichensteuer die Leistungsträger in Deutschland sowie mit der nochmaligen Herabsetzung des Sparerfreibetrags auf einen nurmehr symbolischen Wert viele Bürger mit kleinerem und mittlerem Vermögen. Die derzeit in Vorbereitung befindliche Unternehmenssteuerreform wird vermutlich unter dem Strich zu einer geringfügigen Entlastung vor allem der Kapitalgesellschaften führen. Daß auch die im Mittelstand vorherrschenden Personengesellschaften besser gestellt werden sollten, mußte Minister Steinbrück in den letzten Tagen erst beigebracht werden. Wie immer in Deutschland bastelt man jedoch an einer Reform, die weitgehend aufkommensneutral sein soll. Deutschlands unrühmliche Spitzenstellung bei den Unternehmenssteuersätzen in Europa wird man aber dadurch zumindest nominal abgeben. Das Beispiel anderer europäischer Reformländer jedoch zeigt, daß eine echte Entlastung von Bürgern und Unternehmen bereits nach kurzer Zeit zu einem insgesammt höheren Steueraufkommen führen würde. Gegen diesen Rat aller Wirtschaftsinstitute ist man in Berlin jedoch gefeit, zu tief sitzt der Glaube an die Allmacht des Verteilungsstaates.

Posted by bo at 22:19
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Sonntag, Mai 07, 2006

Cheney spricht Klartext

Cheney chides Russia on democracy

Die Rede des amerikanischen Vize-Präsidenten Dick Cheney vor osteuropäischen Staats- und Regierungschefs auf einer Konferenz im litauischen Vilnius hat erhebliche diplomatische Irrationen zwischen Moskau und Washington ausgelöst. Cheney hatte der russischen Regierung in ungewohnter Offenheit bescheinigt, erhebliche Rückschritte auf dem Wege der Demokratisierung gemacht zu haben und Rußland bezichtigt, seine Energiepolitik als Machtinstrument gegen Anreinerstaaten wie auch das westliche Europa einzusetzen. Cheney sprach davon, daß "from religion and the news media, to advocacy groups and political parties - the government has unfairly and improperly restricted the rights of the people". Cheneys Rede löste in der kremltreuen Presse des Landes einen Sturm der Empörung aus, es war vielfach von der Ausrufung eines neuen Kalten Krieges die Rede. Zwar nannte Cheney niemandem beim Namen, doch die anti-demokratische und restaurative Politk des Kreml muß sehr wohl mit der Person des russischen Präsidenten Putin in Verbindung gebracht werden, der im Innern wie nach Außen versucht, das unter seinen Vorgängern verlorengegangene Terrain zurückzuerobern. Die amerikanische Regierung hat Recht, wenn sie die offensichtlichen Interessengegensätze, die es im Verhältnis des Westens zu Rußland nach wie vor gibt, zu einer deutlichen Positionsbestimmung nutzt. Ob die im Januar am Beispiel der Ukraine exekutierte erpresserische Energiepolitik, die blockierende Haltung Rußlands im Atomstreit mit dem Iran oder die offene Unterstützung der palästinensischen Hamas - Moskau besetzt in internationalen Konflikten zielstrebig stets die freigewordene anti-westliche Position. Im Gegensatz zu einer unsäglichen Sowohl-West-Als-Auch-Ost-Außenpolitik der deutschen Regierung, spricht man in Washington erfreulicherweise nun Klartext und vergeudet auch keine Zeit, die zunehmend selbstbewußt auftretenden Russen einzuhegen. Im weiteren Verlauf seiner Europareise sicherte Cheney den Ländern Albanien, Kroatien und Mazedonien die amerikanische Unterstützung für einen Beitritt zu EU und NATO zu. Dieser Strategie der Stabilisierung Osteuropas sollte sich auch Deutschland verpflichtet fühlen, denn die hierzulande verfolgte Politik, direkt mäßigenden Einfluß auf das sich zunehmend autoritär gebärdende Rußland nehmen zu können, erweist sich schon heute als pure Illusion.

Posted by bo at 18:48
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Dienstag, Mai 02, 2006

Energiefrage

Renewable energy 'won't plug gap'

Wie hierzulande, so gewinnt auch in Großbritannien die Debatte um nukleare Energiegewinnung wieder an Fahrt. Die schwindenden Ölvorkommen in der Nordsee, das zunehmende Problem von Treibhausgasen sowie natürlich vor allem die in letzter Zeit so stark gestiegenen Ölpreise haben dazu geführt, daß die britische Regierung über die Energiefrage wieder neu nachdenkt. Premier Tony Blair hat zu diesem Zwecke im letzten Jahr den Anstoß für einen Bericht gegeben, dessen Veröffentlichung im Juni ansteht und von dem Beobachter erwarten, daß er die Karten im Energiepoker wieder neu verteilen könnte - zugunsten der Kernenergie. Viele der heute bestehenden Atommeiler haben - wie in Deutschland - begrenzte Laufzeiten. Ein vollständiger und vor allem kostengünstiger Ersatz mit Windenergie oder anderen erneuerbaren Energiequellen erscheint nicht realistisch. Die Kostenfrage aber wird in London kontrovers diskutiert, schließlich beteiligt sich der Steuerzahler für gewöhnlich kräftig an der Beseitigung des atomaren Abfalls, so daß die wahren Kosten von Atomkraftwerken nur schwer zu bestimmen sind. Die Gesamtkosten der Kernenergie hängen also auch zu einem erheblichen Maße von den politischen Rahmenbedingungen ab - und diese waren in energiepolitischer Hinsicht in Großbritannien in den letzten 25 Jahren wechselhaft. Anders als in Deutschland aber, wird im Vereinigten Königreich die Kostenfrage mit wirtschaftspolitischem Sachverstand geführt und ist auch nicht in vergleichbarem Maße ideologisch aufgeheizt. Vertreter von Investmentbanken weisen daraufhin, daß es sehr wohl Interesse an der Finanzierung und Risikoübernahme des Baus neuer Atomkraftwerke gebe, sofern der Staat die Genehmigungsverfahren beschleunige und eine verläßliche Regelung für die Entsorgung schaffe. Interessanterweise engagiert sich ausgerechnet das deutsche Energieunternehmen E.ON in Großbritannien und hat großes Interesse am Bau von Kraftwerken signalisiert. Tony Blair wird nachgesagt, er werde sich im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des von ihm angestoßenen Reports für einen zweiten Frühling der Kernenergie stark machen. Er dürfte dabei auf einer anschwellenden Welle öffentlicher Zustimmung reiten, denn mittlerweile sprechen sich laut Umfragen schon wieder mehr als 40 Prozent aller Briten für den Bau neuer Kraftwerke aus.

Posted by bo at 23:32
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