Freitag, März 31, 2006

Deutschland, deine Meinungsfreiheit

Ex-Kanzler streitet vor Landgericht

Ex-Kanzler Schröder erhält nicht nur 250.000 EUR Aufwandsentschädigung pro Jahr für seinen Aufsichtsratsposten bei dem russisch-deutschen Gaspipeline-Konsortium NEGP, nein, er möchte darüber hinaus auch dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle verbieten, ebenjenes Engagement kritisch zu würdigen. Per Einstweiliger Verfügung beim Hamburger Landgericht (unter Androhung eines in erstaunlicher Koinzidenz ebenfalls auf 250.000 EUR angesetzten Ordnungsgeldes), möchte Herr Schröder Herrn Westerwelle verbieten, den fragwürdigen Rollenwechsel Schröders vom politischen Unterstützer des Konsortiums zu seinem direkten Nutznießer kritisch zu würdigen. Dieser Fall erscheint um so lächerlicher als daß der Alt-Kanzler (das würdevolle Wort geht einem schwer über die Lippen) sich zwar im Vorsitzenden der Liberalen einen langjährigen Intimfeind zum Gegner auserkoren hat, jener sich aber im Meer der Kritiker, die auch in erheblichem Maße aus Schröders eigener Partei kamen, nurmehr wie eine Schaumkrone ausnimmt. Dabei offenbart dieser Fall erneut die Fragwürdigkeit des Rechtsmittels der Einstweiligen Verfügung in Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit. So ist es beispielsweise möglich, ohne jede Gerichtsverhandlung und somit ohne jeden Zwang zur Glaubhaftmachung seiner Behauptungen eine Zeitung zum Abdruck einer Gegendarstellung zu zwingen. Notorische Juristen wie z.B. Schröders Kollege Gysi nutzen diese Gelegenheit weidlich und überziehen Zeitungen oder auch mal die Birthler-Behörde mit ihren Klagen, immer öfter mit Erfolg. Kaum ein Tag vergeht, an dem eine deutsche Tageszeitung oder ein politisches Magazin im Fernsehen nicht mit Gegendarstellungen aufwarten müssen. Ob eine SPD-Politkerin sich vom Spiegel bezüglich des Einsturzes der Halle in Bad-Reichenhall falsch zitiert fühlt, die Hamburger Morgenpost ihre Darstellung des jüngsten Wettskandals in der Bundesliga korrigieren muß oder Nanotech-Firmen ihre Produktpalette ins rechte Licht rücken wollen - die Presse ist gezwungen, den unbewiesenen Behauptungen Raum zu geben. Da die Frage nach der Wahrheit, insbesondere bei historischen Fragestellungen (wie z.B. derjenigen nach der Stasi-Mitgliedschaft Gregor Gysis), nicht auf dem formalen Wege einer Gegendarstellung geklärt werden kann, bleiben gesetzliche Zwangsmaßnahmen im Vergleich zu den Möglichkeiten einer freien und vielfältigen Presselandschaft, das schlechtere Mittel um die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen wirksam zu schützen. Wer sich im Recht fühlt, der wird, sofern sein Seelenheil davon abhängt, andere, ihm freundlich gesonnenere Journalisten finden, um sein Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen. Gerade Gerhard Schröder sollte hier noch über alte Bundesgenossen verfügen. In seinem Falle geht es ja auch gar nicht um die vermutete Unterstellung, er hätte aktiv an dem Zustandekommen des Vertrages über den Bau der Pipeline zu seiner Zeit als Bundeskanzler mitgewirkt, dies hat er vermutlich nicht. Allerdings hat er für das Projekt (manchmal auch für Rußland und Putin gleich mit) bis zur Grenze des Erträglichen Werbung gemacht und dafür gehört er zu Recht kritisiert.

Posted by bo at 7:33
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Montag, März 27, 2006

Eingewandert ist nicht gleich eingebürgert

Einwanderungspolitik: Kauder für "Nationalen Aktionsplan Integration"

Daß in den letzten Wochen zwischen den in Berlin vereinten Parteien der Großen Koalition eine mitunter recht hitzig ausgetragene Debatte um die deutsche Einwanderung- und Einbürgerungspolitik entbrannt ist, hatte sicherlich auch mit der zunehmenden Nervosität im nun zu Ende gegangenen Wahlkampf in drei Bundesländern zu tun. Die Union mißt dem Thema auch strategische und damit langfristige Bedeutung zu, da es die Möglichkeit zur Abgrenzung vom Koalitionspartner, ja sogar, wenn man so will, von allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien bietet. Tatsächlich dürfen sich CDU und CSU berechtigte Hoffnungen darauf machen, daß viele Wähler, insbesondere in den Großstädten, die fatalen Auswirkungen einer planlosen Einwanderungspolitik in ihre Wahlentscheidung einbeziehen werden. Doch dürften sich die Parteistrategen in Berlin irren, wenn sie annehmen, das Wahlvolk würde nur die SPD als Buhmann für diesen Grundkonsens des Nichtstuns ausmachen. Noch viel weniger Aussicht auf Erfolg hat das Kalkül, mit einem "Nationalen Aktionsplan Integration" neue Wählerschichten gewinnen zu können. Zwar beschäftigt die Frage der Integration von Ausländern auch CDU-ferne Wähler, doch nimmt es eine viel zu untergeordnete Bedeutung ein, als daß sich damit jemand von seiner grundsätzlichen Wahlentscheidung abbringen lassen würde. Dabei taugt das Thema im Grunde auch nicht für Landtagswahlen, denn was, wenn nicht die Einwanderungspolitik ist eine nationale Frage. Die mittlerweile öffentlichen Fragebögen der CDU-Innenminister geben nicht nur Einblick in das biedere Geschichtsbild einer Ministerialbürokratie, sie sind auch ein wunderbares Beispiel der Verschwendung von Steuergeldern. SPD und Grüne allerdings bieten mit ihrer Polemik gegen eine vermeintlich von der Union verfolgte Abgrenzungspolitik sowie dem Vorwurf, am rechten Rand auf Stimmenfang zu gehen, nicht einmal einen plausiblen Debattenbeitrag, geschweige denn Lösungsansatz. Ob die Idee eines Fragebogens, der wahlweise entweder Gesinnungsschnüffelei betreibt oder Schulwissen abfragt, allerdings die Lösung des berechtigten Anspruchs der deutschen Gesellschaft an ihre neuen Mitglieder ist, den für ein friedliches und erfolgreiches Zusammenleben notwendigen Integrationswillen zu zeigen, sei dahingestellt. Üblicherweise sollte die Verleihung der Staatsbürgerschaft eine Frage der Zeit und gewisser formaler Voraussetzungen sein, wie z.B., daß der Bewerber in Lohn und Brot steht sowie mit dem Gesetz bisher nicht in Konflikt geraten ist. Wenn aber acht Jahre nicht ausreichen, einen Einwanderer sich zu seiner Wahlheimat und dem in ihre geltenden und von westlichen Werten bestimmten Grundkonsens bekennen zu lassen, dann stimmt etwas mit der Bindungskraft seiner neuen Heimat nicht, da helfen auch keine Fragebögen. Letztlich geht die Debatte um den Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft, aber auch das formale Bekenntnis zur deutschen Gesellschaft, an der Realität vorbei, denn auch mit deutschem Paß würde ein türkischstämmiger Jugendlicher ohne Hauptschulabschluß nur schwerlich Arbeit finden. Die eigentlichen Integrationsprobleme aber anzugehen - und zuvorderst gehört hier das Bildungsproblem unserer von Unterschichtseinwanderern maßgeblich geprägten Migranten genannt - ist dennoch vonnöten, denn ohne Einwanderung wird Deutschland auch in Zukunft nicht auskommen. Dies sollte jedem schon allein aufgrund unserer bereits bedrohliche Ausmaße annehmenden demographischen Situation klar sein. Wir stehen seit vielen Jahren mit anderen europäischen Staaten sowie natürlich den USA in einem globalen Wettbewerb um die begabtesten und qualifiziertesten Einwanderer. Hierfür wären intelligente Konzepte gefragt, nicht jedoch dazu, welche Mittelgebirge es in Deutschland gibt.

Posted by bo at 4:50
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Freitag, März 24, 2006

Jugend und Alter

Das Alter mehr über die Jugend als die Jugend über das Alter weiß.
Posted by bo at 2:07
Categories: Aphorismen

Samstag, März 18, 2006

Frankreich kommt nicht zur Ruhe

Job protests grip French cities

Kopfschüttelnd mag mancher die Aufruhr in Frankreich Kenntnis nehmen, die sich, nur wenige Monate nach den gewälttätigen Ausschreitungen von Jugendlichen aus den Einwandererghettos, ein Gesetz zum Anlaß genommen hat, welches doch gerade die Chancen dieser verlorenen Generation verbessern soll. Dieses mal sind es jedoch Studenten und Gymnasiasten, die ein noch nicht einmal rechtskräftiges Gesetz hinwegputschen wollen, welches erleichterte Kündigungsbestimmungen für junge Arbeitnehmer bis 26 Jahre vorsieht und welches, nach übereinstimmender Auffassung der Wirtschaft, eine wesentliche Einstellungshürde beseitigen würde, die bislang eine der Ursachen für die beschämend hohe Jugendarbeitslosigkeit von über 20 Prozent darstellt. Dem Vorwurf mangelnder Solidarität mit ihren schlechter ausgebildeten Vorstadtbrüdern würden sich die hysterisch agitierenden Sorbonne-Studenten vermutlich nur ungern aussetzen, und so bemühen sie viel klassenkämpferisches Vokabular, das auf die allgemeine Schwächung der rechtsbürgerlichen Regierung abzielt. Unterstützt werden sie dabei von den Gewerkschaften und sämtlichen linken Parteien. Der Vorsitzende der Sozialisten, Francois Hollande, sympathisiert unverhohlen mit den Protestierern und hat dabei die im nächsten Jahr anstehenden Präsidenten- und Parlamentswahlen fest im Blick. Noch standhaft zeigt sich Premier Dominique de Villepin, der verspricht, das Gesetz gegen alle Widerstände durchsetzen zu wollen. Weniger zuversichtlich hingegen geben sich seine Landsleute, deren Zustimmung zu der Neuregelung den Umfragen zufolge stark gesunken ist, seitdem der Druck der Straße zugenommen hat. Präsident Chirac hat daher auch Kompromißbereitschaft seiner Regierung erkennen lassen und appelliert in hilfloser Senilität an seine Bürger, ihrem Protest friedlich Ausdruck zu verleihen. Bleibt festzuhalten, daß die französische Regierung in ihrem Reformeifer weite Teile der fanzösischen Bevölkerung hinter sich gelassen hat. Entfernt erinnern die Demonstrationen in Paris daher an die Hartz-IV-Proteste zu Zeiten von Rot-Grün hierzulande. In ihrer politischen Einsichtsfähigkeit unterscheiden sich Franzosen und Deutsche also wenig, in ihrem Temperament allerdings sehr.

Posted by bo at 18:51
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Mittwoch, März 15, 2006

Wahlkampf auf israelisch

Palestinians protest at jail raid

Wenige Tage vor den für den 28. März angesetzten Wahlen in Israel, nimmt die Nervosität im israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt zu. Vermutlich um seinen - im Vergleich zur Helden-Biographie des schwerkranken Ariel Scharon - allzu zivilen und damit dem Verdacht der Schwäche ausgesetzten politischen Werdegang einen neuen Akzent zu verleihen, hat der geschäftsführende Ministerpräsident Ehud Olmert eine Kommandooperation gegen ein palästinensisches Gefängnis in Jericho angeordnet. Die mit schweren Waffen ausgeführte Militäraktion diente dazu, den dort einsitzenden Führer der linksgerichteten Volksfront für die Befreiung Palästinas (PLVP), Ahmed Saadat, vor ein israelisches Gericht zu stellen, da ihm die Beteiligung an der Ermordung des israelischen Tourismusministers im Jahre 2001 zur Last gelegt wird. Die Empörung der Palästinenser brach sich umgehend in gewalttätigen Ausschreitungen, Entführungen westlicher Journalisten und Mitarbeitern von Hilfsorganisation sowie Angriffen auf europäische Einrichtungen Bahn. Ob sich Olmert mit einer derart an der Zurschaustellung vermeintlicher Entschluß- und Durchsetzungsfähigkeit orientierten "Politik" erfolgreich gegen fallende Umfragewerte stemmen kann, darf bezweifelt werden. Derweil sind die mittelfristigen Folgerungen der palästinensischen Wahl, bei der die Hamas einen deutlichen Sieg einfuhr, noch offen, solange deren Haltung zum Friedensprozeß ungeklärt ist und ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ausbleibt. In dieser prekären Lage zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen, birgt die Gefahr, daß das innerpalästinensische Pendel erneut in Richtung einer radikalen Intifada ausschlägt und Israel auf diese Weise die Position gemäßigter Kräfte, wie die des einsam an der Spitze stehenden Präsidenten Abbas, endgültig schwächt. Die Hamas unterdessen, nicht faul, probt den Schulterschluß mit der erstarkten libanesischen Hizbullah und einer von Syrien bis zum Iran reichenden Achse militanter Schiiten. Der Nahe Osten bleibt bis auf weiteres ein Pulverfaß, und der Westen kann derzeit nur hilflos zusehen. Die Hoffnung bleibt, daß nach den israelischen Wahlen ein Neuanfang gelingt, der nicht allein auf die vollständige Separation der beiden Völker setzt.

Posted by bo at 23:28
Categories: Aus der Ferne betrachtet

Sonntag, März 12, 2006

Anspruchsdenken

Der höchste Anspruch ist der, den niemand erfüllt.
Posted by bo at 20:44
Categories: Aphorismen

Freitag, März 10, 2006

Ein Bund aus sechzehn Ländern

Föderalismus-Debatte: Struck kritisiert eigenen Gesetzentwurf

Das hatten sich etliche Koalitionspolitiker anders vorgestellt. Den Parlamentariern im Bundestag war eigentlich nur noch die Rolle des Abnickens der Föderalismusreform zugedacht worden, die doch die Ministerpräsidenten, Parteiführer und die Bundesregierung längst schon "beschlossen" hatten. Nun haben sich die Abgeordneten in Berlin doch noch ihrer verfassungsgemäßen Rolle erinnert, denn schließlich bedarf es vor Inkrafttreten der neuen Gesetze immer noch der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Bei der heutigen Debatte hat ausgerechnet der SPD-Franktionsvorsitzende Peter Struck die vakante Oppositionsrolle übernommen und Änderungsbedarf an dem Reformwerk angemeldet. Er äußerte vor allem Bedenken in der Frage der Verlagerung bildungspolitischer Kompetenzen auf die Länder und befürchtet wohl, daß sozialdemokratische Steckenpferde wie das Thema der Gesamt- und Ganztagsschulen im Wettbewerb der Länder unter die Räder kommen könnten. Die Auflösung des Kompetenz-Wirrwarrs zwischen Bund und Ländern ist das vorrangige Ziel des wichtigsten Reformvorhabens der Großen Koalition. Tatsächlich sollen künftig die Länder allein das Sagen über Hochschul- und Bildungspolitik haben, zudem wird es die Möglichkeit eigenständiger Regelungen beim Beamten- oder Strafrecht geben. Dafür geben sie Kompetenzen in Fragen des EU-Rechts, der Terrorismusbekämpfung oder des Umweltschutzes an den Bund ab. Die Aufteilung mag auf den ersten Blick willkürlich erscheinen, doch versprechen sich die Apologeten der Reform davon eine Reduktion der durch den Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze von derzeit 60 auf ca. 35 Prozent, eine Behauptung, die allerdings noch vollkommen unbewiesen ist. Sollte diese Prognose zutreffen, so wäre die umfangreichste Gesetzesänderung seit 1949 tatsächlich ein wichtiger Schritt hin zu mehr Subsidiarität und Wettbewerb unter den Ländern. Bedauerlich ist lediglich, daß die Syphilis des deutschen Föderalismus - seine Finanzverfassung - wieder nicht angerührt wird. Die ordnungspolitisch verfehlten Regelungen zur Mischfinanzierung sowie der Bund-Länder-Finanzausgleich bleiben unangetastet und sollen angeblich in einem zweiten Schritt nachgeholt werden. Solcherart Lippenbekenntnisse können jedoch kaum überzeugen, wird die Notgemeinschaft aus Union und SPD in den nächsten Monaten doch noch mehr als genug mit dem Stapellauf der heute eingebrachten Reform zu tun haben.

Posted by bo at 20:18
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Sonntag, März 05, 2006

SAP kommt noch ohne Betriebs-Ratschläge aus

SAP: Betriebsratsfreie Zone

1972 ist die Geburtsstunde des größten deutschen IT-Unternehmens, der Beginn einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte fünf ehemaliger IBM-Mitarbeiter, die sich in den folgenden Jahrzehnten anschickten, die mit 38.500 Mitarbeitern drittgrößte Software-Firma der Welt aufzubauen. Diesen beispiellosen Erfolg verdankt SAP der Idee seiner Gründer, daß die Zukunft der Informationstechnologie standardisierten Lösungen gehört, mit Hilfe derer sich vor allem große Unternehmen und ihre betriebswirtschaftlichen Prozesse steuern lassen, eine für die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts revolutionäre Idee. Der Zufall will es, daß das Jahr 1972 ebenfall das Geburtsjahr einer der einschneidensten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Beschneidung unternehmerischer Freiheiten in Deutschland war: das zur Zeit der sozial-liberalen Koaltion verabschiedete Betriebsverfassungsgesetz. Dieses sieht weitgehende Mitbestimmungsrechte eines von den Arbeitnehmern und Gewerkschaften besetzten Betriebsrates vor, der als gewähltes Vertretungsorgan der Arbeitnehmerseite in sämtliche Entscheidungen über soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten sowie insbesondere Personalangelegenheiten vom Unternehmen einbezogen werden muß. Das Gesetz wurde unter Rot-Grün im Jahre 2001 noch einmal erweitert, unter anderem um die Zuständigkeit des Betriebsrates für Umweltschutz und Fragen der Diskriminierung von Arbeitnehmern, vor allem jedoch wurde das Gesetz nun auch auf Kleinbetriebe ab 5 Mitarbeitern ausgedehnt. Bis vor kurzem war die heile Welt der SAP AG frei von den im Gesetz behandelten Sorgen und Nöten, wie die mehrfache Kür des Unternehmens zum Besten Arbeitgeber Deutschlands beweist. Die hochqualifizierten und zumeist auch hochdotierten Arbeitnehmer fühlten sich im Aufsichtsrat ausreichend von einer Anzahl selbstgewählter Kollegen vertreten, einen Betriebsrat im Sinne des Gesetzes gibt es bis heute nicht. Nun aber versucht die IG Metall erneut in Walldorf Fuß zu fassen. Die Wahl der Wahlvorstände, Voraussetzung für die Wahl eines Betriebsrates, endete vor wenigen Tagen zwar mit einer vernichtenden Niederlage der Initiatoren (90% Gegenstimmen), doch sieht das Betriebsverfassungsgesetz in diesem Falle einfach die Bestellung durch ein Arbeitsgericht vor, sofern ein Antrag von mindestens drei wahlberechtigen Arbeitnehmern oder einer im Berieb vertretenen Gewerkschaft vorliegt. Da bleibt Dietmar Hopp, einem der Gründer der SAP, nur, mit der Verlagerung des Hauptsitzes ins Ausland zu drohen, einer Maßnahme, die das Unternehmen, an dem er noch bedeutenden Anteile hält, allerdings auch nicht vor der Einflußnahme durch Betriebsrat und Gewerkschaften schützen würde. Seiner in einem offenen Brief vorgetragenen Kritik ist allerdings uneingeschränkt zuzustimmen: Das Betriesverfassungsgesetz in ein bürokratisches Monster aus längst vergangenen Tagen sozialdemokratischer Gleichmacherei und Regelungswut. Es mindert die Reaktionsfähigkeit eines Unternehmens, schränkt seinen Handlungsspielraum ein, gerade auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, und ersetzt den Wettbewerb der Unternehmen untereinander, der eben auch über das Angebot sozialer Leistungen und den Umgang mit seinen Mitarbeitern geführt wird, durch eine typisch deutsche Gleichmacherei. Das Gesetz in seiner derzeitigen Form ist ein klarer Wettbewerbsnachteil für unsere Unternehmen und kostet uns im Zeitalter der Globalisierung Arbeitsplätze. Aber darum geht es den Gewerkschaften als Interessenvertretung der Arbeitsplatzbesitzer selbstverständlich nicht.

Posted by bo at 17:54
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Donnerstag, März 02, 2006

Die größten Demokratien der Welt: Indien und die USA

US and India seal nuclear accord

Für die Vereinigten Staaten ist Indien in vielfacher Hinsicht ein strategisch wichtiger Partner. Die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt schickt sich an, ähnlich wie der autokratisch regierte Nachbar China, zu einer prosperierenden Großmacht in Asien aufzusteigen. Das Wirtschafstwachstum kann zwar mit demjenigen Chinas noch nicht mithalten, aber im Allgemeinen werden Indien beste Chancen eingeräumt, in den nächsten Jahrzehnten nachhaltig vom Rückenwind der Globalisierung zu profitieren. Die liegt vor allem auch daran, daß Indiens demographische Situation deutlich dynamischer erscheint als etwa diejenige der Volksrepublik, deren Ein-Kind-Politik dem Land schon bald ähnliche Schwierigkeiten bescheren wird, wie sie sonst nur die entwickelten Wohlstandsgesellschaften des westlichen Europa kennen. Während China sich heute vor allem in der Industrieproduktion weltweite Marktanteile erkämpft, punktet Indien mit seinem Angebot an Dienstleistungen, vor allem der Informationstechnologie. In diesen personalintensiven Branchen fällt es den Indern aufgrund der großen Zahl hochqualifizierter Universitätsabsolventen leicht, weltweit konkurrenfähig zu sein, nicht zuletzt auch aufgrund ihrer englischen Sprachkenntnisse. Das heute mit einem Abkommen zur Kooperation bei der Nutzung ziviler Nukleartechnologie belohnte Interesse der USA an dem Subkontinent geht allerdings über die Fragen wirtschaftlicher Kooperation deutlich hinaus. Washington vollzieht damit unter Präsident Bush eine Kehrtwende von einer Politik der Sanktionen gegen Indiens Nuklearpolitik hin zu einer special relationship, bei der Indien quasi durch die Hintertür in den Kreis der Atommächte aufgenommen werden soll. Diese Politik stößt nicht überall auf Zustimmung, insbesondere auch im amerikanischen Kongreß, der das Abkommen noch zu ratifizieren hat. Indien gilt seit 1998 als Atommacht und betreibt ein militärisches Nuklearprogramm, ohne bislang dem Nichtverbreitungsvertrag (NPT) beigetreten zu sein. Die Politik der Bush-Regierung zeugt also nicht von großer Prinzipientreue, gerade auch angesichts der Haltung, die der Westen gegenüber den Ambitionen des Iran eingenommen hat. Allerdings muß man für die amerikanische Realpolitik auch ein gewisses Verständnis aufbringen, dient sie doch offensichtlich dazu, die künftige Supermacht China einzudämmen und ihr eine dem Westen nahestehende Regionalmacht gegenüberzustellen.

Posted by bo at 21:56
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Mittwoch, März 01, 2006

Wenn die Linke nicht weiß, was die Linke tut

WASG will mit Urabstimmung Verhältnis zur Linkspartei klären

Der Gewerkschafter und WASG-Vorsitzende Klaus Ernst setzt angesichts einer aufmüpfigen Basis nun zur Vorneverteigung an. Auf die zunehmend besorgniserregenden Nachrichten aus den Landesverbänden Berlins und Mecklenburg-Vorpommerns reagierte der ehemalige Sozialdemokrat heute mit der Ankündigung einer bundesweiten Urabstimmung über die geplante Fusion der WASG mit der Linkspartei/PDS. Vermutlich erhofft sich die WASG-Führung davon, der renitenten Parteibasis den Wind aus den Segeln nehmen zu können, auch auf die Gefahr der Abspaltung einzelner Landesverbände hin. Zwar sind die gemeinen Mitglieder der Wahlalternative vom Vorhaben des Zusammengehens mit der Linkspartei nicht ganz so überzeugt wie ihr Vorstand, dem die Listenverbindung zur Bundestagswahl so viele schöne Posten und Mandate eingebracht hat. Doch dürfte die Mehrheit der Basis für die Vereinigung der zwei linken Parteien stimmen und die sektiererischen Berliner Genossen am Ende sich selbst überlassen. Die drohende Gefahr eines Verlustes des Fraktionsstatus im Bundestag wird mittlerweile allerdings nicht mehr als so groß angesehen, da schon die Linkspartei allein über die dafür notwendige Abgeordnetenzahl verfügt und somit höchstens die Auflösung der Fraktionsgemeinschaft die Folge einer gescheiterten Fusion sein könnte. Derweil fühlen sich Klaus Ernst und Oskar Lafontaine vom Mantel der Geschichte umweht, wenn sie trotz aller Widrigkeiten die historische Mission beschwören, eine geeinte Linke in Deutschland schaffen zu wollen, die sich dem neoliberalen Zeitgeist entgegenstelle. Diese Analyse irrt zwar, denn die Linke in Deutschland bliebe auch weiterhin in wenigstens drei Parteien zergliedert. Doch aller berechtigen Schadenfreude über das Gezänk zwischen Linken aller Couleur zum Trotz, ändert sich an den langfristigen Aussichten für das Expansionprojekt der ehemaligen PDS nach Westen wenig. Dem "Erfolg" bei der letzten Bundestagswahl werden weitere folgen und in gleichem Maße die Befürworter einer engeren Zusammenarbeit mit der Linkspartei in der SPD an Gewicht gewinnen. Dem neoliberalen Lager bleibt da nur die wage Hoffnung auf eine Besinnung der grünen Schmuddelkinder auf die Wurzeln ihrer bourgeoisen Herkunft.

Posted by bo at 24:28
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